Heimatgefühle

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r.e.r. Avatar

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Mit Regionalkrimis ist das ja immer so eine Sache. Mit manchen kann man nur dann etwas anfangen, wenn man selber mit den Örtlichkeiten vertraut ist und sozusagen beim Lesen Heimatgefühle entwickelt. Die Qualität des geschriebenen steht dann oft nicht so sehr im Vordergrund. Andere dagegen funktionieren auch überregional. Nele Neuhaus Krimi "Schneewittchen muß sterben" gehört für mich eindeutig zur zweiten Kategorie.

Schon der Prolog überzeugt. Ein großer Kellerraum in dem eine tote Frau von einem heimlichen Verehrer regelmäßig besucht wird. Eine gespenstische Vorstellung. Dann startet die Geschichte jedoch ganz real und sehr fesselnd. Tobias Sartorius kommt nach 10 Jahren aus dem Gefängnis frei. Direkt nach dem Abitur wurde er seinerzeit verhaftet. Man legte ihm zweifachen Mädchenmord zur Last. Klare Beweise gab es nicht, die Verurteilung basierte auf Indizien. Wieder zu Hause in dem kleinen Ort Altenhain muß Tobias erkennen, dass seine Eltern ihm während seiner Haft eine heile Welt vorgegaukelt haben. Seine Mutter ist vom elterlichen Hof ausgezogen. Sein Vater, einstmals stolzer Gastwirt ist ein gebrochener, heruntergekommener Mann. Was noch schlimmer ist. Haus und Hof mussten für ein Spottgeld an den örtlichen Großunternehmer Claudius Terlinden verhökert werden, um die laufenden Anwaltskosten zu bezahlen. Tobias beschließt seinen ursprünglichen Plan Altenhain möglichst schnell wieder zu verlassen um irgendwo anders neu zu beginnen, zu ändern. Die Wahrheit muß ans Licht. Was geschah wirklich in der Septembernacht vor 10 Jahren. Und wer hat die beiden Mädchen in Wahrheit getötet. Weiß Thies, der geistig zurückgebliebene Sohn der Terlindens mehr? Warum fängt er an über Schneewittchen zu erzählen?

Die Leseprobe allein bietet schon allerhand Stoff zum Nachdenken und jede Menge ansprechende Charaktere. Tobias Sartorius den unschuldig verurteilten Mädchenmörder. Kommissarin Pia Kirchhoff mit ihrem Ex-Mann. Der auch gleichzeitig Gerichtsmediziner ist. Immer eine interessante Kombination, weil sie Raum für viele Verwicklungen bietet. Oliver von Bodenstein, ein weitere Kommissar mit familiären Problemen. Mit nicht stubenreinem Hund, windeltriefender Tochter und genervter Ehefrau eine Fundgrube für atmosphärische Nebenschauplätze. Besonders nett die Kellnerinnen Amelie und Roswitha. Letztere in Blauer Bock Manier in Mundart. Wer weiß wie hessisches Platt klingt, freut sich über diese Stellen besonders. Weil man sie nur lesen und nicht hören muß. Alles in allem ein furioser Auftakt. Macht Lust auf mehr. Und aufs Weiterlesen sowieso.