Leute, denen man Pest oder Cholera an den Hals wünscht

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"In jener Sphäre, in der unsere Geschichte spielt, in jenen Kreisen, wo man Leute, denen man Pest und Cholera an den Hals wünscht, Mimi und Chessy nennt". Es ist das reinste Gift, das Philipp Tengler auf den ersten Seiten seines Romans "Schöne Seelen" verspritzt. Oder sollte ich eher Botox sagen. Schon das Vorsatzzitat lässt "gutes" ahnen: jede Menge bösen, schwarzen Humor: "Ich hatte mal ’ne Panikattacke, weil ich mit dem Kopf in einem Prada-Pullover steckengeblieben bin; das hier ist schlimmer." Schlimmer kann es jedoch für Milvana von Runkle nicht kommen. Die alte Dame, deren Name ein Wortspiel des englischen Rinkle (Falte) zu sein scheint, liegt auf ihrem Sterbebett. Die letzte Schönheits OP ist gründlich schiefgegangen, dennoch ist der erste Gedanke den die sterbende äußert, die Frage ob die Infusion "fett macht".
In dieser Spielart geht es munter weiter. Am liebsten hätte ich sofort weitergelesen. Denn schon das erste Kapitel in dem Milvana dem eilends herbeigeeilten Oskar so manches dunkle Geheimnis enthüllt, das der Schriftsteller eigentlich gar nicht wissen will, ist köstlich zu lesen. Vor allem durch die herrlichen Spitzfindigkeiten und die ebenso spritzigen wie witzigen Dialoge: »Oskar, Liebes!«, rief sie mit unterdrückter Lautstärke, während sie anhob, die Luft über Oskars Wangenknochen zu küssen. »Hast du mich erschreckt! Was tust du hier, willst du Millvina besuchen, wie gut von dir! Wo warst du, in Antibes? Du siehst fabelhaft aus!« »Danke«, erwiderte Oskar, »das ist ein originelles Kompliment für eine Begegnung in der Schönheitsklinik." Originell scheint auch dieser Roman zu sein und ich bin mehr als gespannt auf die "Seelenhygiene" die Tengler hier in feiner Prosa zubereitet hat.