Schöne Seelen

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Ich finde, man muss sich auf dieses Buch einlassen. Dann ist die Unterhaltung gewiss.

Ich muss gestehen, dass ich mir am Anfang des Buches nicht sicher war, ob ich es bis zum Ende schaffen würde. Die Gedanken des Hauptcharakters Oskar Carnow sind manchmal ausschweifend und nicht einfach nachzuvollziehen. Genau wie Oskar ist auch der Schreibstil gewöhnungsbedürftig. Wenn ein Charakter spricht, driftet er manchmal fließend vom Deutschen ins Englische, was wahrscheinlich die Weltgewandtheit der Charaktere zeigen soll. Es kommt auch vor, dass der Leser direkt angesprochen wird. Manchmal hat das Buch etwas von einem klassischen Drama: viel Dialog mit ein paar Regieanweisungen. So einen Schreibstil findet man heutzutage nicht mehr oft. Ich kann nachvollziehen, wenn dies irritiert.

Daher kann ich mir auch gut vorstellen, dass dieses Buch polarisiert: entweder kann man sich darauf einlassen und Gefallen daran finden, oder man kann damit überhaupt nichts anfangen. Mir persönlich hat es gefallen, auch wenn ich ein wenig gebraucht habe, um hinein zu kommen. Mir wurde Oskar als Charakter im Laufe des Buches immer sympathischer. Er erscheint als einer der wenigen "normalen" Personen in seinem Umfeld. Jemand, der noch am meisten nachzuvollziehen ist und ich liebe seine Gedanken, die er sich teilweise macht. Ich fand es spannend, die Welt durch seine Augen zu sehen und über die Gesellschaft der "Reichen und Schönen" zu lesen, die zwar übertrieben klischeehaft beschrieben wird, doch was gleichzeitig wahrscheinlich auch beängstigend wahr ist. Es ist so wunderbar humorvoll geschrieben.

Oskar ist Schriftsteller, ein Denker, der sich neue Inspiration davon erhofft, dass er stellvertretend für seinen Freund Viktor eine Therapie beginnt. Und an seinen Gedanken lässt er auch den Leser teilhaben. Eins meiner Lieblingszitate von ihm ist: "The greatest use of money is to distance yourself from other people" (S. 298). Die Reichen können es sich leisten, in ihrer eigenen kleinen "Bubble" zu leben, ohne sich mit den Problemen der anderen beschäftigen zu müssen. Wahrscheinlich ist dies auch notwendig, weil sie selber schon genug davon haben, wie man hier sehr gut nachlesen kann. "Probleme", von dem der "normale" Mensch nur träumen kann.

Zum Schluss gelangt Oskar zu folgender Erkenntnis: "Kränklichkeit ist eine wesentliche Bedingung der geistigen Beschaffenheit einer schönen Seele." (S. 329) oder kurz: "Die Besten sind immer verrückt." (S. 330). Diese Schlussfolgerung ist nicht unbedingt neu, doch es ist durchaus interessant, wie Oskar zu diesen Gedanken kommt und was für ihn eine "schöne Seele" ausmacht.
Besonders interessant fand ich auch noch die Beziehung zwischen Oskar und seiner Frau Lauren verglichen mit der Beziehung zwischen Viktor und dessen Frau Mildred. Obwohl die meisten Charaktere in diesem Buch sehr oberflächlich rüberkommen, gibt es zwischen Oskar und Lauren etwas, das tiefer geht. Zwar geht es bei ihnen die meiste Zeit auch nur um Geld oder der neueste Klatsch über ihre Bekannten, doch an den kleinen eingestreuten Details merkt man, dass ihre Beziehung wirklich gefestigt ist und über das Oberflächliche hinaus geht. Das fand ich spannend zu beobachten und sehr gut vom Autor umgesetzt.