Sprachlosigkeit als großes Thema unserer Zeit

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Ruth und Hans-Harald Schönwald blicken auf ein formal erfülltes Leben zurück. Sie, einst ambitionierte Literaturwissenschaftlerin, hat ihre akademische Karriere zugunsten der Familie zurückgestellt; der ebenso überstürzt entschiedene wie beendete berufliche Wiedereinstieg an der Universität Hamburg bleibt ein „kurzzeitiger Kontrollverlust“ (S. 303), über den nie wieder gesprochen wird. Er, Staatsanwalt im Ruhestand, beginnt an seiner eigenen Zufriedenheit zu zweifeln und verspürt eine Unruhe, der er mit Hilfe einer Psychotherapeutin nachgehen möchte. „Und doch war da am Ende seines Lebens eine Sehnsucht. Eine Sehnsucht nach Austausch, nach Kommunikation. Er wollte mit jemandem über sein Leben sprechen“ (S. 278).

In Berlin kommen die beiden anlässlich der Eröffnung des Buchladens für „kwiere Literatur“ ihrer Tochter – ein Begriff, den Ruth erst einmal googeln musste - mit ihren drei Kindern zusammen. Die Ereignisse dieses Abends erschüttern die Familie und wirbeln viele Fragen auf, die vielleicht schon früher bestanden haben, aber nie aktiv gestellt wurden. Deutlich wird: das Informationsmanagement der Familie Schönwald bestand nie darin, sich aktiv zu belügen, sondern bestimmte Informationen wegzulassen. „Wenn jeder Mensch alles, was er dachte, alles, was er erlebte, mit jenen teilte, die ihm oder ihr am wichtigsten waren (….), wären Schmerz und Leid allerorten.“ [Zitat S. 434] Und genau das geschieht in diesen Tagen in Berlin.

Der Journalist Philipp Oehmke beschreibt in seinem ersten Roman zentrale gesellschaftliche Themen unserer Zeit und zeigt sich als sehr genauer Beobachter, der das Gesehene in treffende Worte und Bilder verpackt. Während des Lesens habe ich die Szenen bereits wie in einem Film vor mir gesehen und bin fast sicher, dass der deutsche Film sich an diesem Stoff versuchen wird. Mich hat dieser Roman gepackt und ich spreche eine uneingeschränkte Leseempfehlung aus.