Ein unterhaltsamer Krimi mit viel südfranz. Flair.

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„Schwarzer Lavendel“ von Remy Eyssen ist ein solider Krimi, der v.a. vom südfranzösischen Flair, dem sympathischen, tüchtigen Protagonisten und den Taten des Mörders lebt, über dessen Identität man bis zum Schluss rätselt.
Herbst in der Provence. In der Umgebung von Le Lavandou steht alles kurz vor der Weinernte. Eine junge Frau aus Hamburg verschwindet spurlos. Ihre Zwillingsschwester kommt nach Le Lavandou, wohnt im Zimmer, das ihre Schwester bis zuletzt bewohnt hat, und versucht zu verstehen, was passiert ist. Ihre Versuche bei der Polizei etwas zu erreichen schlagen fehl, denn erst ist es zu früh, um Fahndung herauszugeben, dann ist es zu spät, und die junge Frau fühlt sich immer mehr unter Beobachtung. Sie spürt, dass sie verfolgt wird, da kann aber die Polizei ihr auch nicht weiterhelfen, denn es gibt keine greifbaren Beweise, also kann der Täter nicht gefasst werden.
Der Mörder bleibt unerkannt bis zum Schluss. Auch Leon, der bei den Ermittlungen als Gerichtsmediziner mitwirkt, kommt nicht darauf, wer es sein soll und warum. Meist wird es aus Sicht von Leon, mal aus der Sicht von der hinterbliebenen Schwester, mal aber auch aus der Sich der Mörders erzählt. Von seinen Einsichten gibt es eher wenig: mal eine Seite, mal eineinhalb, und viel mehr als dass die jungen Frauen lebendig einbalsamiert werden, und dass er seine Opfer zuvor gründlich beobachtet, wird nicht verraten.
Leon ist sympathisch und empathisch nach wie vor. Das hilft ihm in seinem Beruf, den er gerne ausübt, und auch privat. Er versucht immer noch über den Verlust seiner Frau hinwegzukommen. Isabell, die Kommissarin der lokalen Polizei, bei der er ein Zimmer gemietet hat, hilft ihm nach Kräften. Bloß leider ist sie mir, wie im ersten Fall, zu blass und klischeehaft geblieben. Mit ihr wurde ich bis zum Schluss nicht warm. Dafür punktet ihre fünfzehnjährige Tochter Lilou auf der ganzen Linie. So eine freche, aber keineswegs verzogene Göre, die manchmal so altklug daherkommt und mit den typischen Problemen ihres alter zu kämpfen hat: die erste Liebe, die daraus folgenden Probleme mit der Mutter, die sie von herben Enttäuschungen schützen will. Durch Lilou werden auch Umweltschutzthemen angesprochen. Sie ist Vegetarierin und kommentiert die Essensgewohnheiten ihrer Mutter und Leons auf ihre unverblümte Art. Da musste ich paar Mal schmunzeln. Auch andere Figuren sind wie dem wahren Leben entsprungen. Ich habe mich über das Wiedersehen mit der alten Veronique gefreut, und dem Jean-Luc, der historische wie gesellschaftspolitische Themen auf seine recht witzige Art zur Sprache bringt. Auch die anderen Figuren, die nur in diesem Fall ihre Rolle spielten, konnte ich klar vor meinem inneren Auge agieren sehen. Sehr gut, glaubhaft, wie aus dem wirklichen Leben. Fast alle Figuren waren spannend auf ihre Art. Manche Figuren der dritten-vierten Reihe stellten eher Klischee dar, aber gut, bei denen kann man ein Auge zudrücken.
Vom provenzalischen Flair gibt es noch mehr als im Teil eins. Urlaubsfeeling pur. Sehr schön sind die französichen Lieder, die Leon im Radio Nostalgie hört, die wiederum stets zur Situation passen. Leon erbt ein altes Haus mit etwas Land, und träumt vom eigenen Weinanbau. So verköstigt man mit ihm zusammen nicht nur leckere Rosé Weine, man ist auch beim Ernten mit ihm dabei, und bei seinen Bemühungen, das alte Haus vom Abriss zu retten. So erfährt man einiges über den Umgang mit den südfranzösischen Bürokraten, und wie man dort am besten die Probleme gelöst bekommt. Auch ist man bei einer spannenden Petanque Runde dabei, bei denen die Ganoven, die fürs Geld spielen, für einiges Aufsehen sorgen.
Es gibt viele einfach schöne Szenen und stimmungsvolle Beschreibungen, z.B. die vom alten Haus, die einfach Spaß machen. Es ist, als ob man einige Wochen beim Leon und Isabelle zu Besuch war, und ihr Leben und ihre Sorgen geteilt hat.
Es gibt auch Gesellschaftskritik, die sich eher zwischen den Zeilen versteckt, dennoch. So wie die Polizei nach ihren Vorschriften agiert, kann sie ihre Bürger - in dem Fall junge Frauen- nicht schützen, denn Dienst nach Vorschrift kann einfach nicht gegen den kreativen Elan des Mörders ankommen. Auch auf die polizeilichen Ermittler, die sich als große Freunde der eher schnellen und einfacheren Lösungen erweisen, ist kaum Verlass, denn ihre Priorität Nr. 1 heißt Karriere zu machen. Die Opfer, die ihr Leben lassen, sind dabei eher Mittel zum Zweck. Unter diesen Umständen kann der Mörder gar nicht gefasst werden. Also mussten einige Frauen über mehrere Jahre hinweg zu Opfern des raffinierten Mörders werden.
Es gibt allerdings einige Dinge, die mein Lesevergnügen deutlich gemindert haben. 1) Die Sprache. Manchmal zu sehr umgangssprachlich. Deutlich zu viele Wortwiederholungen. Reger, ja gedankenloser Gebrauch von Hilfsverben in Reihen a lá „war-waren-waren-waren-hatte-war-hatte“, auch in der Kombination „war zu sehen“, „war zu hören“, die leider zu oft vorkamen, als dass ich darüber hinweg hätte sehen können. Auch so etwas wie „stand-stand“ in einem Satz S. 394, oder auch das Wort Moment 3x hintereinander S. 414, Abs. 2-4. Diese „umwerfende Spracheleganz“ hat mich oft genug das Buch zuklappen und etwas anders lesen lassen. 2) Stoffwiederholungen, insb. im ersten Drittel. Diese hätte man schlicht weglassen können. Ich gewann leider den Eindruck, dass der Roman kein anständiges Lektorat genießen durfte. 3) Manches ist zu überzeichnet dargestellt worden. Z.B. Ein bestimmter Sachverhalt ist schon anfangs sehr klar dargelegt worden, dann erzählt Masclau, einer von nicht allzu hellen Polizisten, alles auf der Proletenebene mit entsprechendem Vokabular nochmals nach. Ich schätze es nicht besonders, wenn der Leser für schwachsinnig gehalten wird. 4) Vor diesem Hintergrund hatte weder der Leser noch Leon als Hauptfigur eine faire Chance, dahinter zu kommen, wer der Mörder eigentlich ist. 5) Zum Schluss war es schlicht geschummelt, das mit dem Bändchen, damit es doch noch was wird, S. 453.
Der zweite Fall weist eine Entwicklung in vielerlei Hinsicht auf: sowohl beim Protagonisten als auch beim Plotaufbau. Die Figuren sind prima nach wie vor. Die Sprache ist ähnlich lässig bis miserabel.
Fazit: Ein unterhaltsamer Krimi für breites Publikum, den man im Urlaub oder am Wochenende durchschmöckern kann. Wenn man bereit ist, das Auge hier und dort zuzudrücken, wird man seinen Spaß daran haben.