Dieser Roman schwebt, anstatt sich festzulegen.
„Schweben“ ist ein Roman, der sich nicht nahtlos in die dystopischen Reihen einfügt, die ich bisher gelesen habe – und genau darin liegt seine Stärke wie auch seine Schwäche.Was wie eine klassische Dystopie beginnt – Klimakatastrophe, abgeschottete Siedlungen, ein rigides Regelsystem – entpuppt sich bald als viel enger gefasstes Kammerspiel. Die große Bühne bleibt dunkel; stattdessen fokussiert sich die Geschichte ganz auf das Innenleben einer namenlosen Protagonistin, die mit „Begegnungen“ ihren Lebensunterhalt verdient: Sie schlüpft in die Rollen verschwundener Frauen, wird Tochter, Geliebte, Ehefrau.Im Zentrum steht keine Revolution, sondern die Frage nach Identität: Wer bin ich, wenn ich nur existiere, indem ich jemand anderes spiele? Die Suche nach dem Selbst wird dabei zur ebenso poetischen wie verstörenden Reise. Sprachlich elegant, mit ruhigem, fast hypnotischem Ton entfaltet die Autorin eine dichte Atmosphäre – eine Welt, in der das Schweigen schwerer wiegt als die Handlung selbst.Doch je tiefer ich in die Geschichte eintauche, desto größer wird mein Unbehagen: Die dystopische Welt bleibt vage, ihr Regelwerk widersprüchlich. Gewalt ist verboten – wird aber bei Bedarf ausgeübt, teils sogar öffentlich, ohne Konsequenzen. Die Siedlung ist gleichzeitig streng kontrolliert und erstaunlich durchlässig. Die Welt wirkt oft eher wie Kulisse denn als konsequent durchdachtes System.Hinzu kommt eine Dynamik zwischen den Figuren, die toxische Muster nicht nur abbildet, sondern zuweilen unkommentiert stehenlässt. Eine Grauzone, die zum Nachdenken anregen könnte – oder aber zu viel den Leser:innen überlässt. Dass ausgerechnet eine Geschichte über Identität, Kontrolle und Nähe am eigenen erzählerischen Kern zu zerfallen droht, ist bedauerlich.„Schweben“ ist kein Pageturner. Es ist ein forderndes, irritierendes, in Teilen verstörendes Buch, das sich gängigen Genre-Erwartungen entzieht. Es bleibt vieles offen – in der Handlung wie im Kopf. Und vielleicht ist es genau das, was das Buch am Ende doch lesenswert macht: Es schwebt, anstatt sich festzulegen.