Die modernste Mutter der Welt

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Annett Gröschners Roman „Schwebende Lasten“ hat mich tief bewegt und beeindruckt. Die Geschichte von Hanna Krause, einer Frau aus Magdeburg, deren Tochter ihr Leben mit dem Titel „Die modernste Mutter der Welt“ beschreiben würde, zeichnet für mich ein bedrückendes Bild eines Daseins, das von Pflichterfüllung und Entbehrungen geprägt ist.


Wir Leser folgen Hannas Lebensweg fast das gesamte 20. Jahrhundert hindurch, ein Leben, das von harter Arbeit und Verantwortung durchzogen ist.
Nachdem sie ihr Blumengeschäft während der NS-Zeit verliert, nimmt sie eine Anstellung als Kranführerin im Schwermaschinenwerk Krupp-Gruson in Magdeburg an.
Ihr Mann Karl kehrt traumatisiert aus dem Krieg zurück, verliert bei einem Arbeitsunfall ein Bein und verfällt dem Alkohol. Dadurch bleibt die gesamte Last der Familienversorgung an Hanna hängen. Ihre Ehe bezeichnet sie als „vertrocknet, aber solide“. Sie bekommt sechs Kinder, zwei verlieren ihr Leben. Obwohl sich dieser Verlust wie ein Schatten durch ihr Leben zieht, sagt sie über sich selbst, dass sie nie weinen muss, ihre Tränen blieben immer auf halbem Weg stecken. Die Beziehung zu ihren Kindern bleibt oft distanziert, nur zur jüngsten Tochter entwickelt sie eine engere Bindung. Obwohl Hanna stets im Fokus der Geschichte ist, wirkt sie auf mich wie auf ihre Familie: unnahbar - wahrscheinlich, weil sie stark und zäh sein muss.

Was mich besonders berührt hat, ist Hannas Liebe zu Blumen, die wie ein roter Faden durch den Roman führt. Anfangs war ich irritiert von den detaillierten Blumenbeschreibungen zu Beginn jedes Kapitels, doch mit der Zeit wurde mir klar, dass sie Hannas einzige Konstante und Kraftquelle sind, jede einzelne Blume ein Teil eines Gemäldes, das sie ihr ganzes Leben begleiten wird. Sie beschreibt sich selbst als Hortensie: eine Blume, die auch getrocknet noch jahrelang schön ist. Ihren Kran nennt sie liebevoll Mimi, als Kranführerin lernt sie den Duft des Metalls zu unterscheiden wie einst den Blumenduft in ihrem Laden.
Immer latent vorhanden, ist die Sozialkritik im Roman. Gröschner thematisiert beispielsweise Frauenrechte, das Recht auf Abtreibung und die mangelnde Arbeitssicherheit in den Betrieben – und das ohne erhobenen Zeigefinger, sondern durch die gelebte Realität von Frauen wie Hanna.

Gröschners Schreibstil hat mich besonders beeindruckt. Sie erzählt mit lakonischer Präzision und poetischer Kraft, ohne Pathos oder Sentimentalität, und gerade dadurch wirkt Hannas Schicksal so authentisch.

Für mich ist Schwebende Lasten ein grandioser Roman, der zeigt, wozu Frauen fähig waren, wenn sie für ihre Familien einstehen müssen. Hanna ist eine von vielen, die ihr eigenes Glück hinten angestellt haben, um durchzuhalten. Ihr Leben mag nicht spektakulär sein, aber es erzählt eine Geschichte, die nicht vergessen werden sollte. Auch wenn der Roman mich bei jedem Lesen mit einem dumpfen Gefühl im Bauch zurückgelassen hat, musste ich immer wieder zum Buch greifen, weil mich Hannas Geschichte so in ihren Bann gezogen und ich für sie auf ein spätes Glück gehofft habe.