Lesen!
Mit diesem lebensklugen, erschütternden Roman hat Annett Gröschner allen jenen Frauen ein Denkmal gesetzt, die sich durch das letzte Jahrhundert geschlagen haben und nie eine Alternative zu dem Leben bekamen, das sie führten. Auktorial, auf Hanna fokussiert, wird von ihrem Leben erzählt, das geprägt ist davon, wie sie sich allen Herausforderungen stellt, die ihr vom Schicksal in den Weg gelegt werden. Das Cover strahlt Leichtigkeit aus, das ‚Schweben‘ der Lasten, die für Hanna nur an ihrem Kran schwebten, sonst aber objektiv erdrückend waren. Ausblicke auf Zukünftiges und Einblicke in Hannas Gefühlswelt lassen die Leser/innen stets wissen, dass sie von einem Erzähler oder einer Erzählerin durch den Roman geführt werden, der oder die stets das Ganze im Blick hat, auswählt und verdichtet.
Historisches und Geographisches fließen in die Erzählung ein, das Magdeburg des 20. Jahrhunderts, Zerstörung und Wiederaufbau, entstehen vor den Augen der Leser/innen. Hanna Krause ist eine einfache Frau. Geboren wurde sie 1913 in Magdeburg, der Vater, ein Pole, verlässt sie und ihre Schwester bald, ihre Mutter stirbt, als sie gerade 4 Jahre alt ist. Ihre Halbschwestern kümmern sich mehr schlecht als recht um sie, bei Rosa erlernt sie den Beruf der Blumenbinderin, den sie mit Geschick und großer Liebe ausführt. Schon bald nachdem sie Karl kennen gelernt hat, wird sie schwanger, heiratet und eröffnet selbst einen kleinen Blumenladen im Armenviertel der Stadt. Karl erweist sich als dem Alkohol sehr zugetan. Mit 25 Jahren ist Hanna bereits das 6. Mal schwanger: 2 Kinder hat sie bekommen, eine Fehlgeburt und zwei Abtreibungen hinter sich. All das ist ohne Sentimentalität erzählt, Hanna hadert nicht, klagt nicht, das Leben will bewältigt werden. „Bevor Hanna grübeln konnte, war sie schon am Machen“, heißt es an einer Stelle.
An ihrem 25. Geburtstag betritt ein Mann ihren Laden, der von ihrem Talent gehört hat, sie soll ein altes Gemälde eines niederländischen Malers nachbilden, das er ihr auf einer Postkarte zeigt. Fachkundig führt sie mit ihm ein Gespräch, er lässt ihr Geld da, holt die Blumen jedoch nie ab. Es ist 1938, was ist mit ihm geschehen?
Schon bald nach dem 3. Kind wird Karl zur Kriegsproduktion eingezogen, Hanna muss ihren Laden aufgeben und umziehen. Sie verliert ihren Anstand nie, ist aber keine Heldin, das erlauben ihr die Verhältnisse nicht. 1943 erleidet Karl einen schweren Unfall, sie geht putzen. Das vierte Kind wird nach einer missglückten Abtreibung geboren. Nach einem Luftangriff ziehen alle in eine Notunterkunft. 1944 verliert Hanna ihren erstgeborenen Sohn im Feuersturm, er ist einfach weg, es gibt kein Grab. „Wie ferngesteuert“ geht sie anschließend in den Garten ihrer Schwiegereltern, wo der Garten „blühteblühteblühte, als sei nichts gewesen“. Hanna sagt die Blumennamen auf, klammert sich an die Blumen, sie sind das Schöne, was ihr bleibt, von den Kriegswirren unbeeinflusst, ein Gerüst, an dem sie sich ihr Leben lang festhalten kann. Blumen geben auch diesem Roman eine Struktur, jedem Kapitel ist eine Blume, manchmal ein Insekt, mit einer Kurzbeschreibung vorangestellt, ein Spiegel von Hannas Seele, Ursprung ihrer Kraft.
In den folgenden Kriegsjahren muss Hanna funktionieren, fragt sich, welchen Sinn es hatte, anständig geblieben zu sein – und bleibt es doch. Das nächste Kind kommt tot zur Welt. Das Kriegsende konfrontiert sie mit neuen Herausforderungen. Mit dem Gründungstag der Republik bekommt sie das nächste Kind. Sie wird Kranführerin, erweist sich als geschickt und erhält Respekt von den Kollegen. Sie verliert nie die Beziehung zu den Pflanzen, die sie überall aufliest, oft halb verdorrt, pflegt und verschenkt, sogar ihren Kran schmückt sie mit Azaleentöpfchen. Es folgen neue Katastrophen, die sie aushalten muss. „Hanna spürte, wie das Leben verging, dabei hatte sie noch viel zu wenig Verrücktes ausprobiert.“ (239) Die Tragik eines ganzen Lebens kulminiert in diesem Satz. Was Hanna dann ‚Verrücktes‘ tut, ist so harmlos und anrührend, dass es den Leser/innen nahegehen muss. Sie hat keine großen Wünsche.
Die Wende bringt neue Demütigungen, sonst ändert sich kaum etwas. Gegen Ende ihres Lebens schenken ihr die Töchter eine Reise nach Den Haag, wo sie endlich das Original des Gemäldes ansehen kann, das sie viele Jahre zuvor nachbildete. Zu Hause arbeitet sie daran, lässt das Stilleben fotografieren und schreibt auf die Rückseite eine Nachricht an den Unbekannten, der es 54 Jahre zuvor in Auftrag gegeben hatte. Abschicken kann sie Karte nicht, es gibt keine Adresse, keinen Namen. Und die Erfüllung dieses Wunsches hinterlässt nur Leere, nicht die erhoffte Freude. Als Hanna stirbt, bleiben in ihrer Wohnung 237 verdorrte Sträuße zurück.
Ein unbedingt lesenswerter Roman, der tief einsinkt. Annett Gröschner ist hier ein intensives, großes Werk gelungen.
Historisches und Geographisches fließen in die Erzählung ein, das Magdeburg des 20. Jahrhunderts, Zerstörung und Wiederaufbau, entstehen vor den Augen der Leser/innen. Hanna Krause ist eine einfache Frau. Geboren wurde sie 1913 in Magdeburg, der Vater, ein Pole, verlässt sie und ihre Schwester bald, ihre Mutter stirbt, als sie gerade 4 Jahre alt ist. Ihre Halbschwestern kümmern sich mehr schlecht als recht um sie, bei Rosa erlernt sie den Beruf der Blumenbinderin, den sie mit Geschick und großer Liebe ausführt. Schon bald nachdem sie Karl kennen gelernt hat, wird sie schwanger, heiratet und eröffnet selbst einen kleinen Blumenladen im Armenviertel der Stadt. Karl erweist sich als dem Alkohol sehr zugetan. Mit 25 Jahren ist Hanna bereits das 6. Mal schwanger: 2 Kinder hat sie bekommen, eine Fehlgeburt und zwei Abtreibungen hinter sich. All das ist ohne Sentimentalität erzählt, Hanna hadert nicht, klagt nicht, das Leben will bewältigt werden. „Bevor Hanna grübeln konnte, war sie schon am Machen“, heißt es an einer Stelle.
An ihrem 25. Geburtstag betritt ein Mann ihren Laden, der von ihrem Talent gehört hat, sie soll ein altes Gemälde eines niederländischen Malers nachbilden, das er ihr auf einer Postkarte zeigt. Fachkundig führt sie mit ihm ein Gespräch, er lässt ihr Geld da, holt die Blumen jedoch nie ab. Es ist 1938, was ist mit ihm geschehen?
Schon bald nach dem 3. Kind wird Karl zur Kriegsproduktion eingezogen, Hanna muss ihren Laden aufgeben und umziehen. Sie verliert ihren Anstand nie, ist aber keine Heldin, das erlauben ihr die Verhältnisse nicht. 1943 erleidet Karl einen schweren Unfall, sie geht putzen. Das vierte Kind wird nach einer missglückten Abtreibung geboren. Nach einem Luftangriff ziehen alle in eine Notunterkunft. 1944 verliert Hanna ihren erstgeborenen Sohn im Feuersturm, er ist einfach weg, es gibt kein Grab. „Wie ferngesteuert“ geht sie anschließend in den Garten ihrer Schwiegereltern, wo der Garten „blühteblühteblühte, als sei nichts gewesen“. Hanna sagt die Blumennamen auf, klammert sich an die Blumen, sie sind das Schöne, was ihr bleibt, von den Kriegswirren unbeeinflusst, ein Gerüst, an dem sie sich ihr Leben lang festhalten kann. Blumen geben auch diesem Roman eine Struktur, jedem Kapitel ist eine Blume, manchmal ein Insekt, mit einer Kurzbeschreibung vorangestellt, ein Spiegel von Hannas Seele, Ursprung ihrer Kraft.
In den folgenden Kriegsjahren muss Hanna funktionieren, fragt sich, welchen Sinn es hatte, anständig geblieben zu sein – und bleibt es doch. Das nächste Kind kommt tot zur Welt. Das Kriegsende konfrontiert sie mit neuen Herausforderungen. Mit dem Gründungstag der Republik bekommt sie das nächste Kind. Sie wird Kranführerin, erweist sich als geschickt und erhält Respekt von den Kollegen. Sie verliert nie die Beziehung zu den Pflanzen, die sie überall aufliest, oft halb verdorrt, pflegt und verschenkt, sogar ihren Kran schmückt sie mit Azaleentöpfchen. Es folgen neue Katastrophen, die sie aushalten muss. „Hanna spürte, wie das Leben verging, dabei hatte sie noch viel zu wenig Verrücktes ausprobiert.“ (239) Die Tragik eines ganzen Lebens kulminiert in diesem Satz. Was Hanna dann ‚Verrücktes‘ tut, ist so harmlos und anrührend, dass es den Leser/innen nahegehen muss. Sie hat keine großen Wünsche.
Die Wende bringt neue Demütigungen, sonst ändert sich kaum etwas. Gegen Ende ihres Lebens schenken ihr die Töchter eine Reise nach Den Haag, wo sie endlich das Original des Gemäldes ansehen kann, das sie viele Jahre zuvor nachbildete. Zu Hause arbeitet sie daran, lässt das Stilleben fotografieren und schreibt auf die Rückseite eine Nachricht an den Unbekannten, der es 54 Jahre zuvor in Auftrag gegeben hatte. Abschicken kann sie Karte nicht, es gibt keine Adresse, keinen Namen. Und die Erfüllung dieses Wunsches hinterlässt nur Leere, nicht die erhoffte Freude. Als Hanna stirbt, bleiben in ihrer Wohnung 237 verdorrte Sträuße zurück.
Ein unbedingt lesenswerter Roman, der tief einsinkt. Annett Gröschner ist hier ein intensives, großes Werk gelungen.