Weibliche Resilienz
Als Jugendliche im Geschichtsunterricht habe ich mich oft gefragt, wie man es eigentlich ertragen konnte, so viele verschiedene Umbrüche, Ereignisse, Gesellschaftsformen in einer einzigen Lebenspanne zu erleben. Die Antwort liegt wohl darin, indem man jeden Tag das tut, was getan werden muss.
Das wunderschöne Cover zeigt uns eine scheinbar unbeschwerte Momentaufnahme aus dem Leben einer Frau, so wie es wahrscheinlich Millionen von Schnappschüssen in den Fotoalben unserer Großeltern tun. Die Buchgestaltung und auch der dazugehörige Kurzfilm, der auf social media zur Veröffentlichung des Buchs zu sehen war, hat mich direkt sehr angesprochen und berührt. Die Frau bleibt unscharf, als Stünde sie nicht im Fokus, obwohl sie den Titel ziert. Die Aufnahmen kamen mir bekannt vor, ohne dass ich sie kannte.
So war es auch mit der Protagonistin Hanna. Ihre Sprache und Wortwahl ist die Sprache meiner Großeltern, mit der ich aufgewachsen bin, die zu meinem Wortschatz wurde. Daher habe ich den Schreibstil und auch die Charaktere unmittelbar als sehr nah und vertraut empfunden sowie auch viele Szenen aus dem Buch, wie das tägliche Anheizen der Öfen, mit dem ich auch in früher Kindheit noch aufgewachsen bin.
Wir begleiten Hanna auf ihrem Weg von der verlassenen Tochter, ungeliebten Stiefschwester, begabten und kreativen Blumenbinderin, Ehefrau eines (Sucht)erkrankten Mannes, unentwegt schwangeren Mutter - die ihre Kinder liebt und so viele auf unterschiedliche Weisen verliert - zur sich behauptenden Kranführerin, zur Großmutter - die den Bezug zur Welt ihrer Enkel verliert und entlang all dieser Facetten eines weiblichen Lebens, dafür nie die Liebe zu ihren Blumen verliert. Diese Liebe trägt sie durch all das Schreckliche, Schöne und Alltägliche und das vollkommen ohne Kitsch. Dabei ist Hanna selbst so unauffällig widerstandsfähig wie manch eine Blume, die an den Bahnschienen trotz der unwirklichen Umgebung allen Umständen trotzt.
Die unbeschreiblichen Erfahrungen, die Hanna während des 2. Weltkriegs durchstehen muss, werden von der Autorin klar und schonungslos skizziert. Explizite Schilderungen des Furchtbaren sind für mich normalerweise schwer zu ertragen. So wie Annett Gröschner sie gestaltet, wirken sie ehrlich, organisch in diesem Leben gewachsen und damit authentisch, sie gehören zu diesem Leben und damit zur Geschichte.
Eine zentrale Rolle in Annett Gröschners Meisterwerk spielt das Gemälde eines Blumenstraußes, mit dessen Nachbildung Hanna in ihrem Blumenladen in den Vorkriegsjahren beauftragt wird. Der Auftraggeber ist der Erste, der ihr offen ihre Begabung zurückmeldet und mit dem sie eine Sprache zu sprechen scheint. Sofort analysiert sie, dass die gemalten Blumen nie gleichzeitig alle so in der Vase haben stehen können, dass der Künstler das Gemälde über verschiedene Jahreszeiten und Vegetationsperioden nach und nach geschaffen haben muss. Dieser Strauß wird entlang des Romans inhaltlich immer wieder aufgegriffen, einige Fragen dazu bleiben unbeantwortet. Die Kapiteltitel orientieren sich an den Elementen dieses Gemäldes und bestehen aus kurzen Erläuterungen zu den gezeigten Pflanzen und Tieren. Ein Gestaltungselement, dass mich sofort berührt und fasziniert hat. So entsteht nach und nach die Metapher, dass auch die einzelnen Kapitel aus Hannas Leben, wie die einzelnen Blumen im Strauß sind, die erst nach und nach und zu unterschiedlichen Jahreszeiten des Lebens zum Gemälde hinzugefügt werden können. Verstanden werden können.
Ein weiterer genialer Schachzug ist die Titelwahl: Schwebende Lasten lassen initial an Leichtigkeit denken oder auch an Hannas späteren Beruf als Kranführerin. Vielmehr versteckt sich dahinter aber auch die Ansammlung all der Lasten, die Hanna durch die traumatischen Erlebnisse und all das, was wir heute als „mental load“ bezeichnen, tragen muss, die Lasten, die unsichtbar über uns schweben.
Viele Szenen in diesem Buch haben mit zu Tränen gerührt, das Bild vom „Pflaster-Opa“, die Schilderung eines typischen Morgens vor Hannas Frühschicht und auch die Demütigen in der Nachwendezeit.
Fazit: Ein Buch über Widerstandsfähigkeit, verborgene Talente, Leidenschaften, die uns als Ressource über eine ganze Lebensspanne mit all ihren Grausamkeiten resilient machen, unsere jüngste historische Vergangenheit und die fehlende Anerkennung, die ein „unauffälliges, normales“ Frauen-Leben verdient, aber nur selten bekommt.
Hier handelt es sich um einen Höhepunkt meines Leselebens, daher möchte ich euch eine unbedingte Leseempfehlung aussprechen!
Das wunderschöne Cover zeigt uns eine scheinbar unbeschwerte Momentaufnahme aus dem Leben einer Frau, so wie es wahrscheinlich Millionen von Schnappschüssen in den Fotoalben unserer Großeltern tun. Die Buchgestaltung und auch der dazugehörige Kurzfilm, der auf social media zur Veröffentlichung des Buchs zu sehen war, hat mich direkt sehr angesprochen und berührt. Die Frau bleibt unscharf, als Stünde sie nicht im Fokus, obwohl sie den Titel ziert. Die Aufnahmen kamen mir bekannt vor, ohne dass ich sie kannte.
So war es auch mit der Protagonistin Hanna. Ihre Sprache und Wortwahl ist die Sprache meiner Großeltern, mit der ich aufgewachsen bin, die zu meinem Wortschatz wurde. Daher habe ich den Schreibstil und auch die Charaktere unmittelbar als sehr nah und vertraut empfunden sowie auch viele Szenen aus dem Buch, wie das tägliche Anheizen der Öfen, mit dem ich auch in früher Kindheit noch aufgewachsen bin.
Wir begleiten Hanna auf ihrem Weg von der verlassenen Tochter, ungeliebten Stiefschwester, begabten und kreativen Blumenbinderin, Ehefrau eines (Sucht)erkrankten Mannes, unentwegt schwangeren Mutter - die ihre Kinder liebt und so viele auf unterschiedliche Weisen verliert - zur sich behauptenden Kranführerin, zur Großmutter - die den Bezug zur Welt ihrer Enkel verliert und entlang all dieser Facetten eines weiblichen Lebens, dafür nie die Liebe zu ihren Blumen verliert. Diese Liebe trägt sie durch all das Schreckliche, Schöne und Alltägliche und das vollkommen ohne Kitsch. Dabei ist Hanna selbst so unauffällig widerstandsfähig wie manch eine Blume, die an den Bahnschienen trotz der unwirklichen Umgebung allen Umständen trotzt.
Die unbeschreiblichen Erfahrungen, die Hanna während des 2. Weltkriegs durchstehen muss, werden von der Autorin klar und schonungslos skizziert. Explizite Schilderungen des Furchtbaren sind für mich normalerweise schwer zu ertragen. So wie Annett Gröschner sie gestaltet, wirken sie ehrlich, organisch in diesem Leben gewachsen und damit authentisch, sie gehören zu diesem Leben und damit zur Geschichte.
Eine zentrale Rolle in Annett Gröschners Meisterwerk spielt das Gemälde eines Blumenstraußes, mit dessen Nachbildung Hanna in ihrem Blumenladen in den Vorkriegsjahren beauftragt wird. Der Auftraggeber ist der Erste, der ihr offen ihre Begabung zurückmeldet und mit dem sie eine Sprache zu sprechen scheint. Sofort analysiert sie, dass die gemalten Blumen nie gleichzeitig alle so in der Vase haben stehen können, dass der Künstler das Gemälde über verschiedene Jahreszeiten und Vegetationsperioden nach und nach geschaffen haben muss. Dieser Strauß wird entlang des Romans inhaltlich immer wieder aufgegriffen, einige Fragen dazu bleiben unbeantwortet. Die Kapiteltitel orientieren sich an den Elementen dieses Gemäldes und bestehen aus kurzen Erläuterungen zu den gezeigten Pflanzen und Tieren. Ein Gestaltungselement, dass mich sofort berührt und fasziniert hat. So entsteht nach und nach die Metapher, dass auch die einzelnen Kapitel aus Hannas Leben, wie die einzelnen Blumen im Strauß sind, die erst nach und nach und zu unterschiedlichen Jahreszeiten des Lebens zum Gemälde hinzugefügt werden können. Verstanden werden können.
Ein weiterer genialer Schachzug ist die Titelwahl: Schwebende Lasten lassen initial an Leichtigkeit denken oder auch an Hannas späteren Beruf als Kranführerin. Vielmehr versteckt sich dahinter aber auch die Ansammlung all der Lasten, die Hanna durch die traumatischen Erlebnisse und all das, was wir heute als „mental load“ bezeichnen, tragen muss, die Lasten, die unsichtbar über uns schweben.
Viele Szenen in diesem Buch haben mit zu Tränen gerührt, das Bild vom „Pflaster-Opa“, die Schilderung eines typischen Morgens vor Hannas Frühschicht und auch die Demütigen in der Nachwendezeit.
Fazit: Ein Buch über Widerstandsfähigkeit, verborgene Talente, Leidenschaften, die uns als Ressource über eine ganze Lebensspanne mit all ihren Grausamkeiten resilient machen, unsere jüngste historische Vergangenheit und die fehlende Anerkennung, die ein „unauffälliges, normales“ Frauen-Leben verdient, aber nur selten bekommt.
Hier handelt es sich um einen Höhepunkt meines Leselebens, daher möchte ich euch eine unbedingte Leseempfehlung aussprechen!