Ein wiederkehrender Albtraum an Weihnachten

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gela_hk Avatar

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Die Last der großen Schwester trägt Esther nun schon viele Jahre und auch dieses Jahr zu Weihnachten denkt sie an ihre jüngere Schwester Sue. Mit Wein und einem Geschenk macht sie sich auf die lange Autofahrt, um ihre frisch geschiedene Schwester mitten im Wald zu besuchen. Sue ist alles andere als begeistert und zum ersten Mal wehrt sie sich gegen die aufdringliche Art ihrer Schwester. Dinge, die längst vergessen waren, werden heraufbeschworen und man ahnt, dass dies nicht gut enden wird.

Judith Mechant spielt gekonnt mit Emotionen und Vorurteilen. Wer sich auf dieses Psychodrama einlässt, wird früher oder später Partei für eine der Schwestern ergreifen. Wenig später dreht sich das Blatt und man ist überrascht, wie schnell man ein Rollenbild akzeptiert hat, ohne die ganze Geschichte zu kennen. Jedes Kapitel ist einer Person gewidmet. Im Wechsel schaut man entweder Sue oder Esther über die Schulter. Am Ende spielt Esthers Mann Martin auch seinen Part in dieser schreckwirren Story.

"Meine Schwester steckt voller Lügen. Es sind keine großen Lügen, es sind lächerliche kleine Dinge, die aber alle dasselbe Ziel haben. Sie entstellen die Realität in ihrem Sinne, lassen sie wie das Opfer aussehen, lenken von all ihren Privilegien ab - ihrem Reichtum, ihrer Freiheit, von alldem, was Menschen für sie tun, unablässig."
Zwei Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten, spielen hier ihre Rolle. Esther nahm ihren Part als ältere Schwester schon als Kind sehr ernst. Sie manipulierte, überwachte und sorgte sich um ihre kleine Schwester, die offensichtlich ständig Unterstützung benötigte. Jetzt als verheiratete Ehefrau und Mutter ist sie für ihre Familie verantwortlich. Sue dagegen fühlte sich von ihrer Schwester fast schon bedroht und ihren übergreifenden Handlungen hilflos ausgesetzt. Allein lebend fern der Zivilisation, scheint ihr Leben gescheitert zu sein. Als erwachsene Frauen gehen sie sich inzwischen aus dem Weg. Nur an Weihnachten scheint es sie zueinander zu ziehen, doch die Gewissheit, dass es wieder zu einer Katastrophe kommen kann, schwebt über ihnen.

"Seit Jahrzehnten habe ich im Umgang mit meiner Schwester dieselbe Strategie. Sie besteht aus Verteidigung, Ausweichen, Vermeidung."
Die Autorin setzt diesen einen Tag gekonnt in Szene. Es ist nicht die fast schon banal nebensächlich wirkende Handlung, die Spannung erzeugt. Es sind die überraschenden Wechsel, die durch die jeweils erzählende Protagonistin erzeugt werden. Nicht nur Sue fühlt sich von Esthers dauerndem "Schnecke" genervt. Ich mochte die Sätze auch nicht mehr lesen und hoffte, sie würde endlich damit aufhören. Mit jedem Rückblick in die Vergangenheit wird ein Schleier gelüftet und desto sicherer ist man, dass dieses Treffen kein Happy End nehmen wird.

Für mich war es kein wirklicher Thriller, da es einen kaum spürbaren Spannungsbogen gab. Vielmehr sind es die Protagonisten, die mit ihrer gestörten Sicht auf die Dinge die Spannung erschaffen. Ein Psychodrama der besonderen Art. Ich bewerte das Buch mit 3,5 Punkten.

Erwähnen muss ich aber auch, dass ich mich ein wenig über die Form des Taschenbuchs geärgert habe. Der Aufbau der Kapitel und breite Ränder verbrauchen sehr viel leeren Seitenraum und führen zu unnötigem Papierverbrauch. Es gibt sicherlich andere Stilmittel als Papier zu verschwenden.