Psychisches und körperliches Leid einer Geschwisterbeziehung

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mel.e Avatar

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"Schweig!" ist ein sehr gelungener Thriller, dessen Vielschichtigkeit sehr überrascht. Es ist anfänglich nicht gleich erkennbar, wer hier die "Gute" und wer die "Böse" Schwester ist. Wobei sich irgendwann erkennen lässt, das traumatische Erlebnisse Menschen zu Monstern formen kann und dabei wenig Platz für Empathie zu sein scheint. Ein gelungenes Weihnachtsfest zu feiern ist niemals verwerflich, wobei die Mittel die genutzt werden, ein Scheitern aufzeigen, welches dem geschuldet ist, was erlebt wurde. Ich kann nicht nachvollziehen, warum Kinder keine Hilfe bekommen und die Bürde aufgebrummt bekommen, sich um ihre jüngeren Geschwister zu kümmern, wenn einem als Elternteil die Kraft fehlt. Hier fehlt eindeutig eine psychologische Betreuung, die vielleicht verhindert hätte, das sich die Beziehung der Schwestern verhärtet und regelrecht krank wirkt. Als sie sich endlich aussprechen, wird schnell klar, das die eine oder andere Demütigung verhindert hätte werden können. Es scheint zu spät.

Was mir im Thriller begegnet ist definitiv toxisch, wie auch schon im Klappentext erwähnt. Es ist Wahn und Wahnsinn, wobei es schwierig werden wird, eine gesunde Beziehung aufzubauen. Selbst in Esthers Ehe scheint es sich emotional zu verhärten. Auch hier kommen Wahrheiten ans Licht, die wirklich psychotisch sind und eine große Abhängigkeit aufzeigen. Liebe ist es nicht, was an einander bindet.

Es hat mir sehr gefallen, in dieses Familiendrama einzutauchen und auch die psychologische Ebene ist authentisch geschildert. Was mir begegnet ist psychisches und körperliches Leid, aber auch Wunschvorstellungen eines gesunden Lebens, welches eindeutig einer Zaubertafel gleicht. Der Vergleich kommt direkt aus dem Thriller und erscheint mir mehr als passend. Dinge werden aufgezeichnet und ins Leben integriert und wenn es nicht in den Lebensstil passt, wird über die Tafel gewischt und auf alles O gestellt.

Geschwister können sich definitiv verletzten, da sie es sind, denen man normalerweise sehr nah steht. Hier besteht eine krankhafte Verbindung, die für beide Seiten mehr als ungesund sind. Esther ist der Meinung, das alles, was sie für ihre Schwester tut richtig ist, aber übersieht, das sie ihr letztendlich nur schadet und mehr als aufdringlich wirkt. Es ist eine Geschwisterrivalität spürbar, aber eben auch sehr viele Verletzungen, die vielleicht auch unbewusst geschehen sind. Manche ausgesprochene Worte lassen sich ganz tief innen vergraben und brechen irgendwann heraus. Hinzu kommt eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, die wirklich ungesund ist für die Geschwisterbeziehung und Esthers Familie insgesamt. Wärme ist hier wenig zu erspüren.

Der Autorin gelingt es durch die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Schwestern einen Thriller zu stricken, der wirklich unter die Haut geht. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung, da mir die Grenze zwischen Wahn und Wahnsinn sehr gefallen hat. Ich flog förmlich durch die Seiten um zu begreifen, was dazu geführt hat, die Schwestern zu entfremden und empfand die Auflösung als sehr glaubhaft.