Mehr Probleme als Haare auf dem Kopf

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barbara62 Avatar

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Mit Emma Vaughan, Inspector bei der irischen Polizei im 25 000 Einwohner-Städtchen Sligo an der Westküste, möchte man nicht tauschen. Die alleinerziehende Mutter eines Teenagers hat es schwer, Beruf und Erziehung unter einen Hut zu bringen. Ihr Ex-Mann, von dem sie sich aufgrund häuslicher Gewalt längst hat scheiden lassen, sitzt wegen seiner Vergangenheit bei der IRA in Untersuchungshaft und es droht eine Anklage wegen Terrorismus. Ihm verdankt sie auch ihre Schmerzmittelabhängigkeit, denn die Folgen eines Autounfalls zehn Jahre zuvor bekämpft sie regelmäßig mit Oxycodon, einem verschreibungspflichtigen Medikament, das sie sich auch schon illegal aus der Asservatenkammer beschafft hat. Das ausstehende Ergebnis eines von ihrem Chef angeordneten Drogentests schwebt daher wie ein Damoklesschwert über ihr. Zu allem Überfluss interessiert ihr Kollege James Quinn sich mehr für die junge Empfangssekretärin als für sie und der ungelöste sogenannte Fitzpatrick-Mord an einem protestantischen Vikar, Gegenstand von Band eins, "Lügenmauer", hat ihr Kritik und eine Strafversetzung eingebracht. Doch wenigstens die wird aufgehoben, als aus dem Sligo General, dem örtlichen Krankenhaus, ein Hinweis auf verdächtige Todesfälle kommt. Acht Patienten sind dort innerhalb kurzer Zeit ohne diesbezügliche Vorerkrankung an Herzversagen gestorben. Schnell erhärtet sich der Verdacht, dass ein Todesengel am Werk ist, und Emma darf in die Detective Unit zurückkehren.

Ich hatte mich aufgrund eines vergangenen und eines bevorstehenden Irland-Urlaubs besonders wegen des landeskundlichen Flairs für diesen Krimi entschieden. Da die Autorin Barbara Bierach in Sligo lebt, hatte ich auf viel Lokalkolorit gehofft und bin in dieser Beziehung voll auf meine Kosten gekommen. Landschaftsbeschreibungen, teils ernsthafte, teils komische Beobachtungen über die Eigenheiten der Iren und die Nachwirkungen der unruhigen Vergangenheit des Landes spielen neben der Krimihandlung eine zentrale Rolle in diesem komplexen Buch. Die Ermittlerin Emma Vaughan, eine Frau, die mit beiden Beinen auf dem Boden steht, die nichts von Esoterik hält, auch mal unkonventionell arbeitet, gegen Dienstvorschriften verstößt, und der Menschen wichtiger sind als Fallstatistiken, war mir von Anfang an mit all ihren Schwächen sympathisch.

Es klingt vielleicht seltsam, aber die im Verlagstext im Vordergrund stehenden Krankenhausmorde hatten für mich keine zentrale Bedeutung, zumal ich die Auflösung schon relativ früh erahnt habe. Viel interessanter war der ungelöste Fitzpatrick-Mord, dessen Motiv tief in die Abgründe der 1960er-Jahre zurückreicht und ein tragisches Stück irischer Geschichte enthüllt. Die diesbezüglichen Ermittlungen führen im letzten Drittel des Krimis zu einer dramatischen Zuspitzung, viel mehr als die Mordserie im Krankenhaus. Obwohl ich erst mit diesem zweiten Band in die Serie eingestiegen bin, konnte ich diesem Handlungsstrang problemlos folgen. Ich werde nun aber Band eins nachholen und bin auch in Zukunft gerne wieder in Sligo dabei.