Lesenswert
„Schwimmen im Glas“ thematisiert die kindlich naive Perspektive auf patriarchale Strukturen im österreichischen Alltag der 90er Jahre und beleuchtet dabei, wie diese Strukturen unbewusst und subtil auf die heranwachsende Hauptfigur wirken.
Lore wächst in einem scheinbar geordneten Umfeld auf. Ihr Vater ist Bürgermeister eines kleinen Ortes, ihre Mutter arbeitet als Schreibkraft im Pfarramt. Die Großeltern wohnen direkt nebenan, und bei ihnen verbringt Lore einen großen Teil ihrer Freizeit. Ihre Kindheit ist geprägt von festen Rollenbildern und unausgesprochenen Regeln. Ab und zu kommt ihre Tante Ursula zu Besuch – eine Künstlerin, die in der Stadt lebt, unverheiratet ist und mit ihren „modernen“ Ansichten immer wieder für Diskussionen innerhalb der Familie sorgt.
Der Schreibstil der Autorin ist besonders, denn er schafft es, die Welt aus Lores kindlicher Perspektive einzufangen. Vor allem zu Beginn des Buches wird die Sicht eines neugierigen, hinterfragenden Kindes authentisch dargestellt. Kurze Sätze, plötzliche Gedankensprünge und eine Fülle an Fragen spiegeln Lores Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt wider. Früh erkennt sie, dass Mädchen und Jungen unterschiedlich behandelt werden – nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch im engsten Familienkreis.
„Lore ist, als hätte sich eine Glaswand quer über die Wiese geschoben. Zwischen ihr und dem Großvater, ihr und dem Bruder, ihr und den Männern ist diese unsichtbare Wand und Lore kommt nicht durch, kann nur zusehen aus der Ferne, kann nur stehen und betrachten, kann nur warten.“
Insgesamt hat mich das Buch sprachlich komplett überzeugt. Die Autorin findet stets treffende Metaphern und formuliert Beobachtungen so gekonnt, dass sie mitten ins Herz treffen.
„Und dann fällt also das Wort >Emanze<. Es klingt, als würde der Vater Glasscherben aus seinem Mund spucken. Ein Wort voll Blut liegt auf dem Wohnzimmerboden und Lore berührt es lieber nicht. Sie geht, schleicht, leise zurück ins Bett. Niemand hat sie gesehen und jemand soll bitte bis morgen Früh diese Glasscherben im Wohnzimmer aufkehren, sie zu Staub zermahlen und ins Weltall schließen. Eine Emanze kann auf dieser Welt niemand brauchen. Was auch immer eine Emanze ist.“
Dennoch konnte mich das Buch nicht in Gänze überzeugen. Ich hatte erwartet, dass die Beziehung zwischen Lore und ihrer Tante eine größere Rolle spielt. Zwar mischt Ursula die konservative Familie bei ihren Besuchen ordentlich auf, doch ihr Einfluss auf Lore bleibt vage und verliert sich meines Erachtens im weiteren Verlauf des Romans. Auch hätte ich mir einen stärkeren Fokus auf die ältere Lore gewünscht. Der Großteil des Buches konzentriert sich auf ihre Kindheit, wodurch die spätere Entwicklung der Protagonistin irgendwie blass bleibt.
Fazit. Ein lesenswerter Roman, der fest verankerte patriarchale Strukturen innerhalb Familie und Gesellschaft sehr gut aufdeckt und benennt und dadurch zum Nachdenken anregt.
Lore wächst in einem scheinbar geordneten Umfeld auf. Ihr Vater ist Bürgermeister eines kleinen Ortes, ihre Mutter arbeitet als Schreibkraft im Pfarramt. Die Großeltern wohnen direkt nebenan, und bei ihnen verbringt Lore einen großen Teil ihrer Freizeit. Ihre Kindheit ist geprägt von festen Rollenbildern und unausgesprochenen Regeln. Ab und zu kommt ihre Tante Ursula zu Besuch – eine Künstlerin, die in der Stadt lebt, unverheiratet ist und mit ihren „modernen“ Ansichten immer wieder für Diskussionen innerhalb der Familie sorgt.
Der Schreibstil der Autorin ist besonders, denn er schafft es, die Welt aus Lores kindlicher Perspektive einzufangen. Vor allem zu Beginn des Buches wird die Sicht eines neugierigen, hinterfragenden Kindes authentisch dargestellt. Kurze Sätze, plötzliche Gedankensprünge und eine Fülle an Fragen spiegeln Lores Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt wider. Früh erkennt sie, dass Mädchen und Jungen unterschiedlich behandelt werden – nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch im engsten Familienkreis.
„Lore ist, als hätte sich eine Glaswand quer über die Wiese geschoben. Zwischen ihr und dem Großvater, ihr und dem Bruder, ihr und den Männern ist diese unsichtbare Wand und Lore kommt nicht durch, kann nur zusehen aus der Ferne, kann nur stehen und betrachten, kann nur warten.“
Insgesamt hat mich das Buch sprachlich komplett überzeugt. Die Autorin findet stets treffende Metaphern und formuliert Beobachtungen so gekonnt, dass sie mitten ins Herz treffen.
„Und dann fällt also das Wort >Emanze<. Es klingt, als würde der Vater Glasscherben aus seinem Mund spucken. Ein Wort voll Blut liegt auf dem Wohnzimmerboden und Lore berührt es lieber nicht. Sie geht, schleicht, leise zurück ins Bett. Niemand hat sie gesehen und jemand soll bitte bis morgen Früh diese Glasscherben im Wohnzimmer aufkehren, sie zu Staub zermahlen und ins Weltall schließen. Eine Emanze kann auf dieser Welt niemand brauchen. Was auch immer eine Emanze ist.“
Dennoch konnte mich das Buch nicht in Gänze überzeugen. Ich hatte erwartet, dass die Beziehung zwischen Lore und ihrer Tante eine größere Rolle spielt. Zwar mischt Ursula die konservative Familie bei ihren Besuchen ordentlich auf, doch ihr Einfluss auf Lore bleibt vage und verliert sich meines Erachtens im weiteren Verlauf des Romans. Auch hätte ich mir einen stärkeren Fokus auf die ältere Lore gewünscht. Der Großteil des Buches konzentriert sich auf ihre Kindheit, wodurch die spätere Entwicklung der Protagonistin irgendwie blass bleibt.
Fazit. Ein lesenswerter Roman, der fest verankerte patriarchale Strukturen innerhalb Familie und Gesellschaft sehr gut aufdeckt und benennt und dadurch zum Nachdenken anregt.