Lore, ein Mädchen vom Land

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Lore wächst in den 90ern in einem ländlichen Milieu auf. Gleich neben ihrem Elternhaus, das Haus der Großeltern. Die Oma ist Hausfrau, Mutter und Oma und umsorgt die ganze Familie und versucht, es dem Opa immer recht zu machen. Der Vater ist Bürgermeister, die Mutter arbeitet Teilzeit.
Aus Sicht der 10- bis 12-jährigen erzählt sie von ihren Großeltern, von der Schule, von den vielen Dingen, die der Opa nicht zu Ende erzählt. Gedankenstriche, die in der Luft hängen bleiben, nennt sie das. Ein sehr schönes Bild. Sie erzählt auch von den vielen Dingen, die für sie als Mädchen nichts sind, von den kleinen Hinweisen, dass man als Mädchen vor allem lieb, nett und hübsch sein muss. Die Welt ist patriarchalisch geprägt und trotzdem gibt es in ihr einen Wunsch nach Freiheit, nach einem anderen Leben.
Im Gegensatz zu ihrem dörflichen Leben findet sie bei ihrer Tante in der Stadt einen Gegenentwurf. Die Tante ist Künstlerin, lebt alleine, ist nicht verheiratet. Lore genießt die Besuche bei ihr.
In kleinen Einschüben gibt es immer wieder einen Blick auf das Leben der erwachsenen Lore.
Ich fand das sehr schön gemacht, mochte den Roman in seiner Erzählweise sehr. Sprachlich fand ich den Spagat zwischen kindlicher Erzählerin und literarischer Sprache sehr gut gelungen und schön zu lesen.
„Du wirst dreißig, vierzig, fünfundvierzig und die Sehnsucht nach dem Meer bleibt. Die Sehnsucht nach dem Blau. Die Sehnsucht nach der Freiheit auch. Auch wenn du längst weißt, dass Freiheit eine Illusion ist, unmöglich, ohne in der Einsamkeit zu versinken. Und selbst wenn du dich für die Freiheit der Einsamkeit entscheiden würdest, hättest du deinen Körper, hättest du die Erde, die Wolken und den Himmel, von denen du abhängst. An die du gebunden bis, mit denen du verbunden bist. Auch wenn du längst weißt, das Blau gibt es nicht ohne das Schwarz.“ S. 227
Wahrscheinlich hat mich der Roman auch deshalb berührt und angesprochen, weil ich viele Erfahrungen der Protagonistin teile. Ich bin etwas früher als sie, aber ebenfalls in einer dörflichen Umgebung aufgewachsen, deren Regeln ich oft hinterfragt und nicht verstanden habe. Auch ich habe so etwas wie Freiheit gefunden, indem ich in die Stadt gegangen bin, ein anderes Leben gewählt habe.
Ich habe den Roman sehr gerne gelesen, habe ihn geradewegs verschlungen und kann ihn wärmstens empfehlen.