Tagebuch einer Tourette-Superheldin

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buecherfan.wit Avatar

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In “Sechs Millionen Kekse im Jahr” hat die Engländerin Jessica Thom ein Jahr lang Tagebuch geführt über ihr Leben mit dem Tourette-Syndrom. Tourette ist eine genetisch bedingte neurologische Störung, die sich in unfreiwilligen und unkontrollierbaren vokalen und motorischen Tics äußert. Jessica Thom sagte etwa 900mal pro Stunde und hochgerechnet 6 Millionen Mal im Jahr “biscuit", wodurch der Titel - im Original “Welcome to Biscuit Land” - verständlich wird.

Bei Jessica Thom zeigten sich die ersten Symptome in der Grundschulzeit, beginnend im Alter von etwa sechs Jahren. Diagnostiziert wurde ihre Krankheit allerdings erst, als sie 25 war. Inzwischen ist sie etwa 33 Jahre alt, und ihr Zustand hat sich auch in ihrem selbst gewählten Beobachtungszeitraum ständig verschlechtert. Ihre Tics nehmen einen beträchtlichen Teil des Tages ein, und vor allem ihre motorischen Tics beeinträchtigen inzwischen ihre Mobilität erheblich. Sie musste in eine behindertengerechte Wohnung umziehen, benutzt einen speziell für sie gefertigten Rollstuhl und benötigt immer mehr vom NHS (National Health Service) finanzierte Betreuung. Sehr intensive Unterstützung erfährt sie jedoch auch durch Verwandte und Freunde, vor allem durch ihre verständnisvolle Schwester Fat Sister, deren Mann King Russell und die Freunde Leftwing Idiot, Poppy und Bunny. Sie hat 2010 die Organisation Touretteshero gegründet, um Betroffenen Mut zu machen und die oft missverstandene Krankheit ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Das ist auch der Sinn dieser Veröffentlichung. Jessica Thom berichtet mit viel Humor von Begegnungen, Gesprächen und Episoden aus ihrem schwierigen und gefährlichen Alltag. Die Kostproben der von ihr oder den Freunden aufgezeichneten verbalen Tics zeigen mal den poetischen und surrealen, mal den unflätigen und beleidigenden Charakter dieser Wortschöpfungen.

Das Buch liest sich gut. Es erfüllt seinen Zweck, indem es informiert und unterhält. Außerdem weckt es große Bewunderung für die Betroffene, die mit einer unheilbaren Krankheit leben muss, die - zumindest bis jetzt - ständig fortschreitet. Damit man nicht nur auf das geschriebene Wort angewiesen ist, sollte man sich das Interview “Jess Thom Tourettes Hero This Morning 2012” auf Youtube ansehen. Es vermittelt anschaulich die vokalen und motorischen Tics, aber auch das Bild einer fröhlichen, selbstbewussten und trotz unzähliger “biscuits” überaus eloquenten jungen Frau.

Ich würde das Buch ohne Einschränkung empfehlen, wäre da nicht die grottenschlechte deutsche Übersetzung, die von sprachlichen Verstößen nur so wimmelt. Ich frage mich wie so oft, wieso das beim Verlag niemand merkt.