Ein Tag im Freibad mit Tiefgang

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REZENSION – Sechs Jahre nach seinem autobiografisch geprägten Romandebüt „So, und jetzt kommst du“ (2017) veröffentlichte der Journalist Arno Frank (52) nun seinen zweiten Roman „Seemann vom Siebener“, erschienen im März beim Tropen Verlag. Der Roman überrascht durch seine Schlichtheit, schildert doch der Autor auf 240 Seiten nichts anderes als das uns allen wohl bekannte Freizeitgeschehen an einem heißen Spätsommertag in einem „klapprigen Freibad aus den Siebzigerjahren … einem „Bezirk fürs Nichtstun, aber auf rührend deutsche Weise, also verkleidet als Sportplatz zur aquatischen Leibesertüchtigung“. Die eigentliche Faszination des Romans liegt in seiner Vielschichtigkeit und tiefgründigen Charakterisierung seiner Figuren – dem Anschein nach ganz normale Badegäste unterschiedlichen Alters, wie sie jeder von uns bei einem Besuch in einem solchen Freibad beobachten kann. Und doch ist jeder von ihnen auf seine Art besonders: Wir erfahren von persönlichen Schicksalen und Krisen, Sehnsüchten und Hoffnungen. Arno Frank schildert in seinem Buch, wie es in dessen Klappentext treffend formuliert ist, „einen Sommertag, der das ganze Leben erzählt, … vom Weggehen und Zurückkommen, vom Bleiben und der Suche nach dem Glück“.
Als Leser ziehen wir mit Franks Protagonisten unsere Bahn im Schwimmbecken oder sonnen uns auf der Liegewiese mit Blick auf den Sieben-Meter-Sprungturm, der schon vor langer Zeit nach einem tragischen Unglücksfall gesperrt wurde, und beobachten die Menschen in unserem Blickfeld. Da ist der altgediente Bademeister Kiontke, der seit dem von ihm unverschuldeten Unglücksfall dennoch mit Schuldgefühlen lebt. An der Kasse sitzt wie immer seine Kollegin Renate, die, ohne sich dessen bewusst zu sein, doch irgendwie Gefallen am Bademeister hat. Wir lernen Josefine „locker jenseits der Vierzig“ kennen, die, seit Jahren von ihrem Mann getrennt, unsicher ist, ob sie heute wirklich zu dessen Beisetzung gehen soll, stattdessen im Bad zu vergessen sucht. „Ihre Ehe war wie ein Kühlschrank geworden, dessen Gefrierfach nicht ganz richtig schließt.“ Hier trifft sie auf ihre Jugendliebe Lennart, einen international bekannten Porträt- und Kriegsfotografen, der in einer Lebens- und Wirkungskrise steckt, nur anlässlich der Beisetzung seines Jugendfreundes in die kleinstädtische Heimatwelt zurückgekehrt ist und feststellt, dass sich hier kaum etwas verändert hat. „Nirgendwo ist die Zeit so widerständig gegen Veränderung wie im Schwimmbad“, weiß auch Bademeister Kiontke.
Besonders einfühlend beschreibt Arno Frank, die an Demenz leidende Isobel Trautheimer, deren längst verstorbener Ehemann Rüdiger dieses Freibad vor Jahrzehnten geplant und ihr zuliebe um die alte Linde herum gebaut hat. Sie selbst kennt als langjährige Lehrerin viele der Badegäste schon aus deren Schulzeit, hat sie aber vergessen. Isobel verliert sich zunehmend in ihren Tagträumen – zurück in ihrer Zeit als Jungverheiratete, als es dieses Freibad noch gar nicht gab. Sie hat mit ihrem Leben bereits friedvoll abgeschlossen, während eine junge Frau, von einer schweren Lebenskrise gepeinigt, sich davon mit dem verbotenen Sprung vom Siebener endlich befreien und ein neues Leben beginnen will.
Hinter dem fröhlichen, nur scheinbar oberflächlichen Treiben im Schwimmbad steckt in „Seemann vom Siebener“ in Wahrheit so viel Tiefgang, dass sich dem Leser die von Frank Arno mitfühlend geschilderten Schicksale seiner Protagonisten wie die Sommerhitze einbrennen. Nach Lektüre dieses Buches dürfte es beim nächsten Besuch im Freibad nicht mehr so einfach sein, die Stunden wie früher leicht und unbeschwert zu genießen, ohne sich dabei dieses Romans zu erinnern und die fröhliche Stimmung umgebender Badegäste zu hinterfragen.