ein grüner Käfer

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martinabade Avatar

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Die Familie ist häufig Zora del Buonos erzählerischer Mittelpunkt. Das Buch „Die Marschallin“ über ihre Großmutter war ein Erfolg. Zora hat von ihrer Großmutter nicht nur den Vornamen geerbt, sondern auch ein Familienverhängnis, denn die alte Zora war in einen Raubmord verwickelt. Diese Geschichte und ihre Folgen bis heute erzählt dieser große Familienroman.

Nun sucht Zora del Buono im aktuellen Band „Seinetwegen“ nach E.T., den Töter ihres Vaters. Und begibt sich auf eine Suche, in deren Verlauf sie Dinge erfährt, nach denen sie wahrlich nicht gesucht hat.

1963. Es war ein Unfall, auf einer ländlich gewundenen Straße in den Schweizer Bergen, abwärts. Ein roter Chevrolet überholte einen landwirtschaftlichen Wagen, auf dem Heu oder Milchkannen transportiert werden. Ein Kind, ein 12jähriger Junge, sitzt auf dem Bock. Der überholende Wagen sieht den im Gegenverkehr entgegenkommenden lindgrünen VW Käfer nicht. Der Fahrer des Käfers reißt das Steuer nach rechts, der Wagen bricht von der Straße, der Beifahrer, der Vater, der Mediziner, der Forscher, der Geliebte, der Sohn stirbt. Zu jung. 33 Jahre alt. Er hinterlässt Frau und Tochter. Und eine große Lücke.

Ohne Vater groß zu werden, war in dieser Zeit nichts Unübliches. Männer waren im Krieg geblieben, starben anderweitig, hauten schlicht ab. Trotzdem hinterlassen fehlende Väter Lücken. Dieser hier, ein liebevoller, zugewandter, liebender Mensch, eine große. Über die nur geschwiegen werden kann. Puhlt man an der Wunde, schießen Blut und Gefühle an die Oberfläche. Besser nicht.

Die Zora von heute, die ICH Erzählerin, sucht den Fahrer des roten Chevrolets. Es treibt sie um, die große Frage nach der Schuld. Moralisch, juristisch, menschlich. Und bleibt dabei ganz bei sich. Lässt den/die Leser*in hinein in ihre Gedanken und Gefühle. Wie in einer Materialsammlung, ein kleiner „Zettels Kasten“, nimmt die Autorin uns in einer Collage mit in ihre Welt und ihre Recherche. Wir sehen die Traueranzeige für den Vater seiner Fakultät damals. Der junge Mann war ein erfolgreicher Arzt, wen hätte er in seinem Leben alles noch heilen oder retten können? Es gibt Fotos von Vater, Mutter und Familie, und die Gedanken der Tochter. Exkurse in die Familiengeschichte, verwandt und verwoben bis in den Süden Italiens, bis nach Bari.

Del Buono schildert den Kampf mit Verwaltung und Instanzen. Eine Detektivin in eigener Sache. Gibt es Dokumente und Unterlagen? Wo sind die Gerichtsprotokolle? Welche Strafe hat E.T. bekommen? Wie hat er sich zu dem Geschehen eingelassen? Wer ist er? Kennen wir ihn? Lebt er vielleicht, gueriert und selbstgefällig noch in der Gegend? Wer spricht mit ihr? Wer nicht? Und immer wieder auch die Auseinandersetzung mit der Mutter. Die Slowenin Zora (Mama) lernt ihren späteren Ehemann, den Radiologieprofessor Pietro Del Buono, am Ende des Ersten Weltkriegs kennen. Sie folgt ihm nach Bari in Süditalien, wo sie, beide überzeugte Kommunisten, ein großbürgerliches und doch politisch engagiertes Leben im Widerstand gegen den Faschismus Mussolinis führen. Die Patriarchin ist allgegenwärtig.

In dieser Reportage, die ganz temporeich ist, gibt es aber immer wieder Punkte an denen sie und damit auch ein-halten. In die Recherche eingefügt sind „Kaffeehausszenen“, in denen Menschen, offensichtlich Freunde und Bekannte der Autorin, mit ihr im Gespräch Themen beleuchten und die tiefen Konflikte dieser Situation ausloten. Dort sind die Momente, wo aus Reportage Literatur wird.