Seitenwechsel

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lunamonique Avatar

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Eine nächtliche Luchsbeobachtung im brandenburgischen Wald bringt Bernhard und seinen Freund Georg in Gefahr. Am nahen Bahndamm findet eine mysteriöse Verladeaktion statt. Auf einem Hochsitz, den sie sich als Schlafplatz ausgesucht haben, können sie alles verfolgen. Sie sind nicht die einzigen Beobachter. Plötzlich löst auch noch die Fotofalle aus. Können die beiden Freunde entkommen?

„Seitenwechsel“ startet spannend mit einem unglücklichen Zufall. Ausgerechnet in der Nacht, in der Bernhard und Georg dem seltenen Luchs eine Fotofalle stellen, startet am selben Ort eine geheime Mission, die keine Zeugen erlaubt. Die Angst sitzt den Freunden in den Knochen und ist greifbar. Das es sich um junge Männer handelt, wird erst im Laufe der Geschichte deutlich. Bernhard und sein Bruder Julius leben im Osten Berlins. Ihr Freund Jack ist ein amerikanischer Leutnant und lebt genauso wie Steinmetz Georg im Westen Berlins. Die Geschichte spielt 1961. Als Bernhard und Julius ihren Vater erhängt auffinden, glauben sie nicht an Selbstmord. Spuren im Haus passen nicht ins Bild. Obwohl sie ins Visier der Stasi geraten, lassen sie sich nicht von Nachforschungen abbringen. Unsicherheit und Misstrauen bestimmen ihr Leben. Wer ist Denunziant, wer Agent oder Spion? Bernhard, Julius, Georg und Jack brauchen einen Ort wo sie vor Abhöraktionen geschützt sind. Die beklemmende, gehetzte Atmosphäre wird deutlich. Niemand kann offen seine Meinung sagen, ohne in Gefahr zu geraten. „Seitenwechsel“ ist eine fiktive Geschichte, die an realen Schauplätzen spielt. So manch eine Konstellation hat es auch im wahren Leben gegeben. Die Geschichte hätte so oder so ähnlich spielen können. Sie kommt sehr real rüber. Mitfiebern mit den vier Freunden passiert automatisch. Verhöre, Beschattungen, die Angst wird zum ständigen Begleiter. „Seitenwechsel“ lebt auch von der Musik. Der Plattenspieler zieht sich als roter Faden durch die Geschichte. Die Faszination für Jazz eint Gegner. Mit Plattenhandel verdienen Jack und Julius viel Geld. Hat Autor Michael Römling die gleiche Leidenschaft wie seine Protagonisten? Es sind einige Musikkenntnisse nötig, um auf seltene Plattenexemplare aufmerksam zu machen und die passenden Lieder in die Szenen einzufügen. Die Musik wird zum ausdrucksstarken Instrument, harmlosen Intermezzo, während die Gefahr an jeder Ecke lauert. Ein gelungener Schachzug, der die Atmosphäre des Romans verdichtet und ihm einen einzigartigen Anstrich verleiht.

Verwicklungen sorgen für Spannung. „Sie waren in eine Sache hinein geraten, in der andere die Fäden zogen, andere, die sich nicht um das Unglück scherten, das sie anrichteten.“ Es sind die undurchsichtigen Charaktere wie Aragon und Paradschanow die fesseln. Es lässt sich selten voraussehen, wie die ein oder andere brenzlige Situation endet. Fragen stehen im Raum, ein Rätsel muss gelöst werden. Wer wird zum ahnungslosen Spielball des Geschehens? Die Spannung steigt.

Der Titel klingt harmlos, macht Andeutungen. Erst beim Lesen wird die Ausdruckskraft des Wortes deutlich. Der Plattenspieler ist ein wichtiges Detail. Die Leidenschaft für Musik verbindet auch über unterschiedliche Ansichten hin weg. Freund oder Feind? Nicht immer lässt sich das so einfach einordnen. Weder Cover noch Kurzbeschreibung können auf die Geschichte vorbereiten. Sie ist und bleibt überraschend. Wie hätte ein Cover auch all die Facetten und Ereignisse einfangen können? Der erste Eindruck, die Gestaltung ist Understatement der charmanten Art. Autor Michael Römling beweist einen ganz eigenen Stil, die Atmosphäre von damals einzufangen und historisch Einschneidendes spannend und sehr unterhaltsam zu vermitteln. Die Altersempfehlung für „Seitenwechsel“ liegt mal bei 12 bis 18 Jahren, mal bei ab 14 Jahren. Ein bisschen zu tief gestapelt. Auch für über 18jährige open end bietet dieses Buch packenden Lesespaß. Im Nachwort erfährt man mehr zu den geschichtlichen Hintergründen. Zusammen mit dem Glossar ein wertvoller Zusatz.