Spiegelbild der Geschichte
Dass Gesellschaften immer wieder über ihre eigene Vergangenheit stolpern und mit dieser konfrontiert werden, scheint keine Seltenheit. Welchen Stellenwert jedoch die vermeintlich längst der Vergangenheit angehörende Problematik um Rassismus und die Ausgrenzung Andersdenkender aktuell politisch nach wie vor hat, vermag kaum ein Buch besser aufzuzeigen als Dennis Lehanes Thriller „Sekunden der Gnade“. Mit beeindruckender Authentizität erzählt der Autor in seinem 336 Seiten starken Werk die Geschichte einer verzweifelten Mutter, die nach dem Drogentod ihres aus dem Vietnamkrieg heimgekehrten Sohnes nun auch das Verschwinden ihrer jugendlichen Tochter miterleben muss. Aus Angst auch diese womöglich nie wieder zu sehen, begibt sie sich die vom Schicksal gebrochene Mutter selbst auf die Suche – und riskiert dafür alles. Umrahmt wird die Geschichte von den amerikanischen Rassenkonflikten der 70er Jahre, was nicht zuletzt auch für das Verschwinden des Mädchens eine entscheidende Rolle spielt, da in ebenjener Nacht auch ein schwarzer Jugendlicher zu Tode kommt und sich unweigerlich die Frage stellt, ob beides womöglich miteinander in Zusammenhang steht. Dargestellt wird die Antwortsuche in einem eher nüchternen, unvermittelt direktem Schreibstil, der die erschreckende gesellschaftspolitische Realität der beschriebenen Zeit auf den Punkt bringt und so beim Leser zugleich zum Nachdenken anregt – nicht nur über Gesellschaft und Politik, sondern auch über die unvergleichliche Mutterrolle. Insgesamt ein wahnsinnig beeindruckendes und fesselndes Buch, dass den bisherigen Werken des Weltbestsellerautors um nichts nachsteht und somit ein Muss ist für jeden politisch interessierten Thrillerfan! Erscheinen wird der Roman am 23.08.2023 beim Diogenes Verlag.