Leider nicht so gut wie erhofft

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Rezension zu: Seven ways to tell a lie


Prämisse:

Jonah war bis vor einem Jahr Teil einer Freundesgruppe, welche sich von der konservativen Kleinstadt in der sie leben abgrenzte, doch diese zerbrach vor einem Jahr, als ihr Mittelpunkt Eyna verschwand. Nun taucht plötzlich ein Deepfake Video auf welches den gewaltsamen Tod der verbliebenen Mitglieder zeigt. Doch dieses Video ist nur der Anfang, einer Reihe von weiteren Deepfakes Videos in welchem die Hinterblieben unethische Geheimnisse ausplaudern. Jemand scheint es auf sie abgesehen zu haben.


Beurteilung:

Colin Hadler ist für mich einer der interessantesten Autoren im Jugendbuchbereich. Meine erstes Buch des Autors „Ancora“ habe ich als scheußlich empfunden. Sein eigentliches Autorendebüt „Hinterm Hasen lauert er“ dagegen befindet sich in meiner persönlichen Top 10 Liste von Jugendbüchern. Seine anderen beiden Bücher „Wenn das Feuer ausgeht“ und „Exzilium“ konnten nicht ganz an sein Debüt heranreichen sind aber immer noch lesenswerte Jugendbücher. Nun also sein fünftes Buch „Seven ways to tell a lie“ in dem irgendwie vieles anders als auch vieles beim alten ist. Was zuerst auffällt ist, dass Colin Hadler sich uniformiert zu haben scheint. Der englische Titel welcher zudem das Wort Lies enthält ( mitsamt des Antonyms Truth wahrscheinlich eines der am häufigsten verwendeten Wörtern in Jugendbuchtiteln überhaupt ) sowie das Setting ( eine amerikanische Kleinstadt ). Es heißt zwar „Bewerte ein Buch niemals nach dem Umschlag“ aber der Plot ist in dieser Hinsicht nicht anders. Wie schon erwähnt das Kleinstadtsetting, stellenweise ( wenn auch nicht auschließlich, mehr dazu später ) und, dass der Unbekannte die Videos nach den Zehn kleine Jägermeister Prinzip veröffentlicht. Innovativ ist das alles nicht, was klein Problem wäre wenn das Buch durch Qualität überzeugen könnte, doch leider krankt es an zu vielen Stellen um dies zu tun. Dies fängt bei den Hauptfiguren an. Manche davon haben ein interessantes Konzept und ihr Potential ist offensichtlich. Doch da es insgesamt 8 von ihnen gibt, die sich gerade einmal 360 Seiten teilen, hat keine von ihnen wirklich Platz sich zu entfalten. Noch bitterer: Die Figuren die Platz zum entfalten bekommen, nutzen diesen kaum. Jonah, gefiel mir zum Ende hin besser, war mir jedoch lange Zeit einerseits zu passiv und andererseits zu verurteilend ( auch dazu später mehr ). Thea, seine Freundin, dagegen wurde von Hadler, derartig offensichtlich in den Status einer fehlerlosen, heiligen Figur erhoben, dass sich bei mir unweigerlich eine Reaktanz einstellte. Gute Nebenfiguren, können dies leider auch nicht kompensieren, da es keine gibt. Sie sind alle nur skizzenhaft charakterisiert, was unter gewissen Umständen ausreichend wäre, nicht jedoch unter diesem. Das größte Problem des Buches ist meiner Ansicht nach aber seine Moral, beziehungsweise seine moralische Argumentation. Wie bereits erwähnt grenzte sich die Freundesgruppe die sich selbst als liberal und offen empfindet, von der konservativen Kleinstadt ab, welche sie als heuchlerisch und engstirnig empfindet. Mit letzteren haben sie zwar durchaus nicht ganz unrecht ( das Ausmaß ist schwer zu bestimmen aufgrund eines weiteren großen Problems, dieses Buches. Die Missachtung von Show dont tell ), sie selbst sind jedoch, zumindest in Punkto Scheinheiligkeit in keiner Form besser, etwas, dass sie niemals wirklich reflektieren. Die Bösartigkeit der Stadt und des Bürgermeisters ( DAS große Feindbild der Gruppe ) wird häufig nur nacherzählt oder gar behauptet ohne es zu zeigen, sodass die Ausmaße der Bösartigkeit oder überhaupt ihre Existenz zur reinen Glaubensfrage verkommt. Zudem ergibt sich das kuriose Phänomen, dass eine bestimmte Figur durch diskreditierend gemeinte Charakterisierungen, bis zu einem gewissen Grad Wiedergutmachungsqualitäten erhält. Wie partikular die Moral dieses Buches ist wird klar als die Deepfakes veröffentlicht werden. Keiner der Freunde entschuldigt sich von sich aus, kommt auf die Idee den Unbekannten zuvorzukommen und zu beichten oder ist bereit Konsequenzen zu akzeptieren. Wenn sie Konsequenzen erleiden sind diese derartig maßlos und bösartig ( queerfeindliche Sprüche, körperliche Angriffe etc ), dass sie als Opfer inszeniert werden. Dazu tragen auch die Geheimnisse der Freunde bei, welche zwar moralisch nicht einwandfrei sind, jedoch immer eine Hintertür beinhalten, welche es dem Buch ermöglicht diese mit einer „Schwamm drüber“ Mentalität beiseite zu wischen. Nebenbei bemerkt ist es zutiefst unrealistisch, dass wirklich alle der Freunde ein Geheimnis, haben, dass derartig schwerwiegend ist und sie zudem noch eines teilen.

So war es für mich lange Zeit schwierig mich auf das Buch einzulassen, da eine starke Diskrepanz zwischen dem Bestand was das Buch in mir auslösen wollte, und was es tatsächlich auslöste.

Das Finale des Buches ist ambivalent. Obwohl es klare Schwächen hat, löste es in mir doch Spannung und stellenweise sogar Emotionen aus, auch weil Hadler endlich wieder konsequent ist. Einige Figuren treffen maßlos dumme Entscheidungen ( „Es ist eine Falle.“ „Ich weiß, laufe aber trotzdem willentlich und wissentlich rein“ ) und der Antagonist war für mich kaum ernstzunehmen. Dazu war er in seinen Charakterzügen viel zu überzogen und unrealistisch, in mehr als nur einer Hinsicht. Es ist wirklich seltsam. In „Hinterm Hasen lauert er“ schrieb Colin Hadler mit dem Hasen einen der besten Antagonisten die ich jemals erlebt habe, und das keineswegs auf den Jugendbuchbereich beschränkt. Aber bis auf die in „Exzilium“ sind alle seine Antagonisten seitdem einfach nicht gut. Es wirkt fast so als hätte er mit den Hasen sein gesamtes kreatives Pulver bezüglich des Schreibens von Antagonisten verschossen.

Auch das Ende des Buches ist für mich zwiespältig. Einerseits hat die Schlusszene eine starke Wirkung und entlässt den Leser emotional sowie mit einem „Was wäre wenn“ Kopfkino ins reale Leben. Andererseits fehlt ein klarer Abschluss. Wie geht es jetzt mit den Figuren weiter? Wie wird ihr weiteres Leben in Wane aussehen? Werden sie wieder als Freunde zusammenfinden? Wie ist nun ihre Stellung in Wane? Wird Jonah seinen Eltern berichten was er getan hat und was ihn widerfahren ist? Nichts davon wird auch nur andeutungsweise beantwortet, was das Buch sehr abrupt und etwas unbefriedigend enden lässt.

Fazit: Es ist frustrierend. Denn irgendwo in diesem Buch steckt eine sehr gute Geschichte die jedoch durch substanzlose politische Tugendsignalisierung, altbekannte Klischees und einige ärgerliche Unzulänglichkeiten nur wenig Raum zur Entfaltung erhält. Zudem scheint Colin Hadler nun endgültig seine einzigartige Identität gegen eine merheitskonforme eingetauscht zu haben. Es muss nichts schlechtes sein gewöhnliche Jugendthriller zu schreiben ( siehe das Autorenduo Melissa C Hill und Anja Stapor, welche mit ihren Büchern „Seven Ways to tell a lie“ in jeder Hinsicht übertreffen ), doch Hadler war eigentlich immer originiell und andersartig. „Seven Ways to tell al Lie“ kann den Leser niemals so erheitern, niemals so emotional mitnehmen, niemals so zum nachdenken anregen wie „Hinterm Hasen lauert er“. Nicht einmal ansatzweise. Und es fällt mir trotz aller positiven Punkte des aktuellsten Buches schwer das positive in dieser Entwicklung zu sehen. Ich gebe „Seven Ways to tell a lie“ eine wohlwollende Sternewertung von:


3,5/5