Sehr spannend, mit vielen unerwarteten Wendungen!

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lovely_lila Avatar

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Achtung: Die Rezension enthält Spoiler!

Inhalt

Als die Schülerin Rory Miller eine Abkürzung durch den Wald nimmt, wird ihr von ihrem Mathelehrer aufgelauert. Zuerst ist sie erleichtert, als sie ihn erkennt. Doch dann muss sie erfahren, dass sich das Böse oft hinter einer langweiligen, harmlosen Fassade verbirgt. Mr Nell greift sie an, doch sie kann sich durch starke Gegenwehr befreien und ihr gelingt die Flucht. Schockiert wird sie darüber in Kenntnis gesetzt, dass Steven Nell ein intelligenter Serienmörder ist, der bis jetzt nicht gefasst werden konnte. Rory hätte sein fünfzehntes Opfer sein sollen. Sie und ihre Familie werden ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen. Die Polizei wird niemals aufgeben. Steven Nell aber auch nicht…

Meine Meinung

Ich bin nach der Lektüre dieses Buches zwiegespalten. Einerseits gab es viele Dinge, die mir sehr gut gefallen haben, andererseits gab es auch viele Logikfehler und die Autorin hat ihre Recherche wohl nicht ganz so ernst genommen, wie man es als Autor eines Buches vielleicht tun sollte.

Das Buch ist aus zwei Perspektiven geschrieben. Einmal begleiten wir die Protagonistin Rory, dazwischen gibt es kurze Kapitel aus Steven Nells Sicht, in denen er dem Leser seine Pläne offenbart. Der Schreibstil des Buches ist etwas ganz Besonderes, entweder man mag ihn oder eben nicht. Er ist sehr einfach und schnörkellos –wie Rory – und lässt sich meiner Meinung nach angenehm und schnell lesen. Stellenweise erschien er mir aber auch ein wenig oberflächlich. Das Buch ist sehr „filmisch“ geschrieben und ruft dadurch sehr leicht die gewünschten Bilder hervor. Dadurch fühlt es sich aber auch ein wenig ungewohnt an, da man oft das Gefühl hat, hier einen Film in Buchform zu lesen, als hätten wir hier eine Buchadaption eines Films vor uns. Besonders positiv aufgefallen ist mir wie wundervoll die Natur und der Himmel dafür genutzt wurde, die Stimmungen der Personen wieder zu spiegeln. Besonders möchte ich da auf die Stelle mit dem Feuerwerk verweisen.

Die Personen sind verschieden gut ausgearbeitet. Die Protagonistin Rory erschien mir wenig greifbar und stellenweise ein wenig langweilig. Es war, als hätte sie keine richtige eigene Stimme, keine richtige eigene Persönlichkeit. Wie Steven Nell es so schön beschreibt: alles an ihr ist unauffällig, bis auf ihr Haar. Ihr Haar hat aber außer Steven Nell niemand so leidenschaftlich gelobt, also können wir nicht sicher sein, dass es nicht auch vollkommen unauffällig ist und nicht im Gedächtnis bleibt. Dennoch ist es angenehm, Rory als Protagonistin zu folgen. Sie ist still und unaufdringlich, außerdem noch intelligent. Ich mochte sie also durchaus, nur war sie mir eben zu nichtssagend. Sie hätte durch jede beliebige andere Protagonistin ausgetauscht werden können und es hätte mich nicht gestört. Rorys Gefühlswelt, ihre Angst und ihr Misstrauen konnten mich im letzten Drittel dennoch begeistern. Die Verzweiflung darüber, dass ihr niemand glauben will, ist sehr glaubwürdig dargestellt. Es war anschaulich beschrieben wie sie langsam an sich selbst zu zweifeln beginnt und sich fragt, ob sie vielleicht langsam verrückt wird und sich alles nur einbildet. Die Frage, wie man mit Angst und Trauer umgeht, wurde überraschend tiefgründig behandelt.

Von den Nebencharakteren bleiben neben einigen gelungenen Ausnahmen viele recht blass. Man erfährt über manche nichts bis auf ihren Namen und dann vielleicht noch eine Eigenschaft, die sie auszeichnet. Eine Sache hat mich bei der Beschreibung der Charaktere sehr gestört: Wie Rory das Aussehen von Tristan zu vergöttern scheint. Gefühlte dreihundert Mal erklärt sie uns wie schön seine gebräunte Haut im Kontrast zu seinen blonden Haaren ist, die seine Wangenknochen berühren. Wirklich? Diese Beschreibung kann man in diversen Ausführungen immer dann lesen, wenn Rory Tristan sieht, egal ob aus der Nähe oder aus der Ferne. Leider ist das oft. Ich bin ein bisschen enttäuscht, dass da der Autorin nicht ein wenig Abwechslungsreicheres eingefallen ist. Generell sind viele der Personen vollkommen austauschbar. Sie verhalten sich nicht immer so wie es zu ihrem Charakter passen würde, sondern manchmal so ungewohnt, dass man nur weiß, wer eine gewisse Aussage gemacht hat, wenn dabei steht, wer sie von sich gegeben hat.

Eine der am besten ausgearbeiteten Figuren ist meiner Meinung nach Darcy, Rorys ältere Schwester. Manche wird das vielleicht überraschen, da sie nicht wirklich sympathisch ist. Allerdings muss ich sagen, dass sie der einzige Mensch in diesem Buch ist, der wirklich einen sehr authentischen, gut ausgearbeiteten Charakter aufweisen kann. Sie ist zickig und benimmt sich oft oberflächlich, doch im Laufe des Buches enthüllt sie, dass dies nur ihre Form von Ablenkung vom Tod ihrer Mutter ist. Und das Wichtigste: Im Ernstfall hält sie bedingungslos zu Rory.

Das Besondere an diesem Buch ist, dass es hier keine Form der Einleitung gibt und man sofort mitten im Geschehen ist. Gleich zu Beginn baut sich sehr viel Spannung auf, die die Autorin im ersten Drittel gut zu halten weiß. Im Mittelteil nimmt die Spannung ein wenig ab, doch mir wurde nie langweilig dabei. Am Ende steigt sie wieder sehr stark an, wo sie in einem sehr außergewöhnlichen und Höhepunkt mündet, der mich sprachlos zurückließ. Auf dem Weg dahin gibt es sehr viele unerwartete Wendungen, die mich wirklich überraschen konnten. Da es sich hier um den ersten Teil einer Reihe handelt (was ich im Vorfeld nicht wusste), gehe ich davon aus, dass meine ungelösten Fragen in den folgenden Bänden beantwortet werden.

Ein großer Kritikpunkt ist die schlechte Recherchearbeit der Autorin. Noch nie war ein Zeugenschutzprogramm so sehr zum Scheitern verurteilt, noch nie wurde das FBI dümmer und unfähiger dargestellt und noch nie hatte ein Serienkiller so ein leichtes Spiel wie in diesem Jugendthriller. Ich bin mir nicht sicher, ob Steven Nell tatsächlich so intelligent ist, wie behauptet wird – oder ob er neben den planlosen Leuten vom FBI nur so klug wirkt. Letzteres ist wohl keine Kunst.

ACHTUNG SPOILER!

Eine Auswahl der Fragen, die sich mir aufgetan haben: Warum schafft es Steven Nell in ein Haus einzubrechen, das von unzähligen Polizisten und vom FBI überwacht wird, um eine Nachricht zu hinterlassen? Warum sucht man dann als FBI nicht die Fehler in seiner Arbeit, sondern schiebt alles auf den hohen IQ vom Mörder? Warum ändert man beim Zeugenschutzprogramm nur die Nachnamen und den Herkunftsort? Warum lässt man derart gefährdete Personen sich alleine den Weg zum neuen Heim suchen? Nicht einmal ein wenig Bewachung? Tja, ich denke, nun ist klar, wer am Ende Schuld hat.

SPOILER ENDE!

Mein Fazit

Ein sehr filmisch geschriebener Jugendthriller, der vor allem am Beginn und Ende mit viel Spannung punktet. Themen wie Trauer, Angst und familiäre Beziehungen werden ebenfalls gelungen eingewebt.

Ich empfehle diese Geschichte all jenen, die einen schnörkellosen, schnellen Schreibstil und eine Geschichte mit viel Tempo mögen und nicht darauf bestehen, dass die Personen unbedingt im Gedächtnis bleiben müssen. Wenn man die vielen, vielen Fragen ausblenden kann, die am Ende bleiben und die schlechte Darstellung des Zeugenschutzprogrammes verzeiht, bietet einem dieses Buch kurzweilige Unterhaltung zum Mitfiebern.

Bewertung:

Idee und Inhalt: 9 /10
Ausführung: 7 /10
Sprache: 7 /10
Personen: 5 /10
Protagonistin: 6 /10
Spannung: 8 /10

Insgesamt:

❀❀❀❀

Ich vergebe vier zufriedene Lilien!

Ist das Buch Teil einer Reihe? – Ja, Teil # 1.
Werde ich die anderen Teile lesen? - Wahrscheinlich.