Berührend

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Schmerzhaft, tragisch, berührend, hoffnungsvoll – wie man an den Worten erkennen kann, mit denen ich das in Teilen autofiktionale Werk beschreiben würde, war die Lektüre von Douglas Stuarts Roman „Shuggie Bain“ für mich eine Achterbahnfahrt der Gefühle.
Hugh „Shuggie“ Bain wächst in den 80er Jahren in Glasgow auf, inmitten von Armut, Hoffnungslosigkeit, Massenarbeitslosigkeit und einer zerfallenden Stadt. Schon früh lässt ihn sein Umfeld wissen, dass er anders ist: er tanzt gerne und spielt lieber mit Puppen als mit den anderen Jungen Fußball. Sein Vater verlässt die Familie, als Shuggie fünf Jahre alt ist, und von da an sind er und sein Bruder Leek für ihre alkoholsüchtige Mutter Agnes verantwortlich. Es folgt ein ständiger Wechsel zwischen Verzweiflung und Hoffnung, Vernachlässigung und Fürsorge, Freundschaft und Ausgrenzung, Rausch und Entzug. Während Shuggie immer mehr in eine Art toxische Co-Abhängigkeit rutscht und zum Teil tagelang die Wohnung nicht verlässt, aus Angst, seine Mutter könnte sich etwas antun, entfernt sich sein Bruder psychisch und physisch aus dieser Beziehung.
Mir hat das Buch wahnsinnig gut gefallen, auch wenn es teilweise kaum auszuhalten war, über all die grausamen Facetten von Alkoholismus zu lesen. Douglas Stuart hat es mit seiner schonungslosen und nüchternen Schreibweise geschafft, mich emotional an die Lektüre zu fesseln und die Verhaltensweisen aller Protagonist*innen nachvollziehen zu können. Man leidet mit und man hofft mit und natürlich weint man auch mit.
Sprachlich bin ich am Anfang über das Wort „Glasweger*in“ gestolpert; bis jetzt kannte ich nur die Bezeichnung „Glasgower*in“ für das englische „Glaswegian“. Aber man lernt ja immer dazu! Und auch die Dialoge in der Umgangssprache haben den Lesefluss etwas gestört, wenngleich der Dialekt natürlich Authentizität in die Geschichte bringt.
Eine starke, tragische Geschichte, die mich tief berührt hat und die sicher noch lange nachhallt.