Familie auf die extreme Art und Weise

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tochteralice Avatar

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Ich musste mich mehrmals vergewissern, dass dieser Roman nicht in Nordirland spielt - ging es doch wieder und wieder um Katholiken und/oder Protestanten: diese fromm und ein bisschen verbohrt, sprich: langweilig; jene von einer geradzu unverfrorenen Lebenslust, vor allem die männlichen Exemplare.

In eine solche Patchwork-Familie wird Shuggie Bain in den 1970ern hineingeboren, man ist arm, spielsüchtig, scharf auf den Mann/die Frau des Freundes oder der Freundin, raucht und trinkt ohne Sinn und Verstand - und die jungen Leute lernen von den älteren.

Es sei denn, man ist ein Kind wie Shuggie Bain: ein Kind, das nicht ganz der Norm entspricht, da es viel zu feminin auftritt für einen Jungen, der sich doch prügeln und mit den Weibern rumtreiben soll. Nun gut, letzteres vielleicht nicht ganz im Vorschulalter wie Shuggie es ist, aber Sie wissen was ich meine.

Es ist eine Art Familiensaga: Shuggie und seine Wurzeln. Abgesehen von diesen religiösen Aspekten (die - wenn überhaupt - auf eine ganz andere Art Eingang finden würden) könnte dieser Roman auch in Köln-Chorweiler oder Berlin-Marzahn spielen.

Wenn es auch hier gewaltige Einschränkungen gibt, denn der Roman spielt in der Thatcher-Ära, in einer Zeit, in der der Arbeitskampf auf eine vollkommen neue Ebene gehoben wurde.

Trotzdem ist dies ein sehr persönlicher Roman, in dem viel vom Autor Douglas Stuart, seinen Erlebnissen und seinem Blick auf die Welt steckt. Ein Buch, das fesselt, das aber auch ganz schön wehtut. Und zwar genau da, wo man am empfindlichsten ist. Mein Eindruck: der Autor schafft es, wirklich jedem Leser einen Spiegel vorzuführen und ihn so einzubinden, dass er seine eigenen kleinen und auch größeren Sünden und Übergriffe stets vor Augen hat. Man sollte als sehr bewusst und gestärkt in diese Lektüre starten!