Genial

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prosanova Avatar

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Abgesehen vom Booker Price und dem großen Buzz, den das Buch im englischsprachigen Raum erhalten hat, war ich besonders an der Thematik interessiert. Titel wie Montpellier Parade oder Texte von Sally Rooney, die ähnlich sozialkritisch sind haben mich bereits begeistert und deshalb habe ich mir eine Menge vom Text erwartet.

Hat das Buch meinen Geschmack getroffen? Ja und Nein.
In vielen Listen und Rankings wird der Text als »LGBTQ+« oder »Queer-Text« geführt; und auch wenn das für den namensgebenden Protagonisten gelten mag und dieser Themenkomplex durchaus im Buch Erwähnung findet (viel zu wenig für meinen Geschmack), halte ich dieses Kategorisierung für irreführend.
Und damit sind wir bereits an meinem »größten« Kritikpunkt - im Text begegnen wir vielen Figuren (Shuggie, seiner Mutter, Lizzie, Wullie, Catherine, Leek, Big Shug und Eugeene. Eine gute Mischung an Figuren, die das Spektrum des Milieus gut abbilden ohne zu überfordern) aber die wirklich, wirklich starken Textpassagen werden aus der Perspektive / oder mit der Kameraperspektive von/ um Shuggie herum erzählt. Diesen besonderen Filter bekommen wir leider zu selten!
In diesen Momenten gibt der Text kleine große Momente, die schrecklich schön anmuten, die verletzlich sind, vor Wagemut strotzen und lange im Gedächtnis bleiben.
Z.B. als Shuggie, weil ihn seine Schulkameraden als Fairy und Schwuchtel bezeichnen, in einem ausgetretene Graskreis übt wie ein »richtiger Mann« zu gehen. »Beine auseinander, die Arme nicht Schlenkern und Eier schaukeln«.
Oder ähnlich eindrücklich - die Tanz-Szene im Wohnzimmer.

Für viele mag dieser Text streckenweise schwer verdaulich oder anstrengend sein; aber genau das macht ihn aus. Viel Leid. Viel lebenswirkliche Probleme werden uns dargestellt, ohne die Figuren dabei bloßzustellen - sie alle erhalten sich ein Stückchen würde.

Großartiger Text. Absolute Leseempfehlung.