Sozialdrama einer elenden Kindheit

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sumako Avatar

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'Shuggie Bain' ist harter Stoff. Die nach Klappentext autobiografisch geprägte Geschichte aus dem Arbeitermilieu der 80er Jahre in Glasgow zeigt eindrücklich das Elend des kleinen Hugh, genannt Shuggie. Die Alkoholsucht der Mutter, die Brutalität und das Machogehabe des (da anderweitig verheiratet) meist abwesenden Vaters und die resultierende bittere Armut der Familie bilden den Rahmen für eine desolate Kindheit.

Die Übersetzerin Sophie Zertz kreiert einen vage west-/norddeutschen "Kunstdialekt", um die starken Sprachfärbung der Glaswegians wiederzugeben. Ich finde, das ist ihr gut gelungen, auch wenn es anfänglich den Lesefluss ein wenig stört - aber sicher ist das im Original nicht anders.

Die tiefe Liebe Shuggies zu seiner Mutter Agnes ist das eigentliche Thema des Romans. Agnes wird als das einzig Strahlende, Schöne in dem grauen Umfeld der heruntergewirtschafteten Zechensiedlung dargestellt, in der sie mit Shuggie und seinen beiden Geschwistern lebt. Mit aller Macht kämpft sie mit Makeup, gepflegter Kleidung und auf Pump gekauften Möbeln gegen die Trostlosigkeit an - aber der nächste Alkohlexzess kommt mit Sicherheit.

In Shuggies Umfeld gibt es nichts, was ihm Halt geben könnte. Die älteren Geschwister flüchten aus der Familie, die anderen Kinder sind brutal, die Nachbarinnen gemein, die Häuser baufällig, die Sprache ordinär, die Landschaft hässlich. Die Beschreibungen des vielfältigen Elends machen einen Großteil des Buchs aus, und irgendwann wurde es mir zu viel.

Kuchenteig braucht eine Prise Salz, um die Süße zu brechen, und Vinaigrette schmeckt man gegen zu viel Säure mit etwas Zucker ab. Für meinen Geschmack fehlt diesem Buch ein positiver Gegenpol, um die Geschichte erträglich und lesenswert zu machen. Sollte es wirklich die Erfahrungen des Autors abbilden, so hat er mein tiefes Mitleid und vollste Bewunderung, das er seine Jugend überlebt hat. Als Sozialstudie bietet das Buch sicherlich Einblicke in die katastrophalen Folgen elterlicher Suchtkrankheit und staatlicher Austeritätspolitik. Aber als Roman hat mich die Geschichte nicht überzeugen können.