Unglaublich hart, aber fesselnd

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
griseldis2000 Avatar

Von

Wer wissen möchte, wie es ist, mitten in Glasgow als Kind einer Alkoholikerin und eines Maulhelden von Vater aufzuwachsen, der ihn im Stich lässt, der trete ein in die Welt von Eugene Bain, genannt Shuggie.

Der empfindsame, kluge Shuggie ist von Anfang an ein loyaler und treuer Beschützer seiner alkoholkranken Mutter. Er wird von ihr mißbraucht als Co-Abhängiger. Er durchlebt mit ihr jeden Absturz, macht sich ständig Sorgen um sie, verpasst oft die Schule, erhält keinerlei Rückendeckung im grausamen Umfeld der Bergarbeitersiedlung, in der fast jeder auf Sozialhilfe angewiesen ist und wo es in nahezu jeder Familie mindestens einen Trinker oder eine Trinkerin gibt. Shuggie und seine Geschwister haben es längst aufgegeben, sich selbst zu bemitleiden, denn sie kennen es nicht anders. Sie müssen für sich selbst sorgen.

Bei allem Elend gibt es aber auch eine große Zärtlichkeit. Shuggie ist so voller Hoffnung und Hingabe. Er glaubt den Beteuerungen seiner Mutter immer wieder, dass sie aufhören wird mit dem Trinken, dass sie neu anfangen können. Weil sie es selbst auch glaubt. Und tatsächlich geht sie zu AA-Treffen, gibt sich große Mühe, geht sogar arbeiten. Der Absturz ist umso grausamer.

Dem Autor gelingt das Kunststück, sowohl Verständnis, als auch Mitgefühl für die Verlorenen bei den LeserInnen zu wecken. Natürlich wünscht man sich, sie mögen stark sein, durchhalten, aufwachen, aber man versteht auch, warum es so verdammt schwer ist, auszubrechen aus diesem Kreislauf von Apathie, Absturz und Resignation.

Und so hoffe ich auch weiter für Shuggie, dass es ihm gelingen möge, glücklich zu sein, einen liebevollen Partner zu finden, eine Arbeit, die ihn erfüllt. Er hat sie noch immer, seine Liebe, seine Empfindsamkeit und er ist noch nicht verloren. Er kann es schaffen.

„Shuggie Bain“ hat - wie ich finde- vollkommen zurecht den begehrten Bookerprize erhalten. Die Sprache ist präzise, originell und stark. Die Geschichte authentisch und empathisch , aber vollkommen schonungslos. Ich bin sehr gespannt, was der Autor Douglas Stuart als nächstes schreibt.