Was ist ein guter Thriller/Krimi?

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Wenn man für Vorablesen Berichte schreibt, dann stellt sich immer die Frage: Was macht ein Buch gut? Warum ist es gut? Warum zieht einen die Geschichte in den Bann?
Wenn man sich für eine Leserunde bewirbt, zählt natürlich die Leseprobe, aber es zählt auch: Genre, Autor, Herkunft.
Andersrum: Krimis/Thriller ziehen, dann gibt es Leute, die eher auf englischsprachige Autoren aus sind und andere, die die Skandinavier bevorzugen. Und es gibt Autoren, die schon per se die Leute in die Buchläden locken.
Ich selber gehöre zu den Krimi/Thriller-Fans, mag zwar eigentlich lieber Geschichten aus dem englischsprachigen Raum, freunde mich aber auch mehr und mehr mit den Skandinaviern an. Und Arne Dahl kenne ich noch nicht sehr gut, weiß aber, dass er zu den bekannten Schweden-Autoren gehört.
Ein vierter Faktor, der zieht, sind natürlich (zumindest für mich) vertraute Figuren. Hier beginnt dann der Schritt ins Unbekannte. Denn "Sieben minus eins" ist Teil einer neuen Reihe. Ob die zieht, dazu nun Stück für Stück mehr.
Allerdings werde ich dieses Mal nicht ganz so sehr meine sonst übliche Struktur durchziehen - sondern teilweise Beschreiung und Bewertung schon in einem Rutsch skizzieren.

Ort und Zeit der Handlung:
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Die Geschichte spielt in der Gegenwart. Genaue Daten und Uhrzeiten stehen über jedem Kapitel – es ist Oktober, das Jahr fehlt (sicherheitshalber – damit ist die Geschichte vielleicht länger haltbar? ;-)). Schauplatz ist Schweden, genauer gesagt Stockholm. Ich bin keine Kennerin des Landes, Stichworte wie Östermalm haben mir zunächst nichts gesagt – bis ich heraus gefunden habe, dass das ein Stadtteil der schwedischen Hauptstadt ist. Letzlich spielt aber der Ort eine untergeordnete Geschichte – wahrscheinlich könnte auch Köln oder Amsterdam oder London Schauplatz sein.
Im Vergleich zu anderen Krimis fällt auf: Die Figuren Tragen Namen, wie sie auch in englischsprachigen Krimis sein könnten: Sam Berger, Molly Blom - diese Namen kann man sich auch als Leser, der keine enge Bezeihung nach Skandinavien hat und mit den entsprechenden Namen nicht so vertraut ist, gut merken.

Die Handlung
Ein guter Roman beginnt mit einem Paukenschalg. Als leidenschaftliche Krimi- und Thrillerleserin bin ich es gewohnt, dass es häufig zum Auftakt eine Szene gibt, in der das Opfer getötet wird. Häufig landet man erst danach bei den Ermittlern.
In diesem Fall ist es anders. Es gibt den obligatorischen Paukenschlag, allerdings auf etwas andere Art: Die Ermittler versuchen, eine entführte 15-Jährige zu finden, stürmen ein Haus. Doch sie tappen dem Täter in die Falle, Statt einer Selbstschußanlage gibt es eine eigens mit Messern bestückte Vorrichtung, durch die ein Polizist schwer verletzt wird.
Brutal, aber auch eindrücklich im weiteren Verlauf ist dieser Auftakt. Die Polizei findet einen vermauerten Raum, findet Blut an den Wänden. Und Kommissar Sam Berger, die zentrale Figur der Geschichte, entdeckt auch ein winziges Zahnrad.

Ein guter Krimi lebt von ungewöhnlichen Wendungen. Auch die gibt es in dieser Geschichte. Sie dümpelt eine Weile vor sich hin. Sam Berger, der Hauptermittler, ist dominant, ist etwas verschroben, klammert sich an seine Rolex, ein Sammler-Stück, macht Alleingänge, nennt seine neue Kollegin Désire Rosenqvist „Deer“. Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Kosename, übersetzt "Reh", liebevoll, würdigend oder doch herablassend – wie es Sam vorgeworfen wird.
Während Sams vorgesetzter Alan den Fall des entführten Mädchens Ellen wirklich nur als Entführung und Einzelfall begreifen will, ist Sam von der Idee besessen, dass sie es mit einem Serienmörder zu tun haben – und meint, Ellen noch retten zu können. Immer wieder macht er Alleingänge, um diese These zu untermauern. Dennoch: Die Geschichte dümpelt vor sich hin.
Dann stellt sich heraus: Die Person, deren Hinweis die Ermittler zu dem Haus mit der Selbstschussanlage geführt hat, ist eine Frau. Ist Bergers Serientäter also weiblich? Er kann es eigentlich kaum glauben. Er stößt auf eine Frau, die an dem Haus und an anderen Tatorten war – als Zuschauerin in der Menschenmenge, immer mit Fahrrad an ihrer Seite. Ist jetzt schon die Lösung in Sicht, nach kaum mehr als 100 Seiten? Die Frau ist merkwürdig, hat keinen festen Job, kein Handy. Dennoch gelingt es den Ermittlern, sie in ihrer Wohnung zu fassen. Im Verhör gibt sie sich unerschütterlich. Nur in seltenen Momenten scheint ihre Fassade leichte Risse zu haben, so bringt sie Sam auf die Idee, dass es mehr als drei tote Mädchen gibt. Dennoch wirkt die Sache merkwürdig.

Wer sich die Spannung erhalten will, sollte an dieser Stelle nicht weiter lesen. Eine gute Geschichte ist eine, die mit überraschenden Wendungen aufwartet. Auch die hat Arne Dahl zu bieten.
Mit Hilfe einer früheren Mitschülerin, die jetzt als Expertin für die Polizei arbeitet, kommt Sam – wieder im Alleingang – der seltsamen Frau auf die Spur und den Grund: Die Verdächtige ist in Wirklichkeit Mitglied der Geheimpolizei, zuständig für interne Ermittlungen – und die richten sich gegen Sam Berger. Er durchsucht ihre „echte“ Wohnung, wird dort überwältig und ist nun selber gefesselt im Verhörraum – wieder sitzt er der selben Frau gegenüber, die in Wirklichkeit Molly Blom heißt, ehemalige Schauspielerin, jetzt Kommissarin der internen Ermittlung. Sie verdächtigt Sam, dass er nämlich der Mädchenmörder ist. Er besitzt nicht nur das Zahnrad, dass er in dem Haus mit der Selbstschußanlage gefunden hat, er hat auch zwei weitere Rädchen aus einer, aus seiner äußerst seltenen Uhr – auch sie stammen von Tatorten.

Während des Verhörs wandelt sich das Gesamtgefüge einmal mehr. Es stellt sich heraus: Sam Berger hat geheim ermittelt, er hat einen früheren Freund, einen früheren Mitschüler William in Verdacht, brutal 15-jährige Mädchen ermordet zu haben. Und er weiß: William hat schon zu Schulzeiten Mitschülerinnen gequält.
Doch nicht nur Sam spielt sein eigenes Spiel: Auch Molly Blom hat ohne Erlaubnis ihrer Vorgesetzten ermittelt. Denn auch sie war Mitschülerin von Sam und William – und Williams erstes Opfer. Gelingt es nun Sam und Molly gemeinsam, William das Handwerk zu legen? Oder hat Arne Dahl noch weitere Wendungen in der Hinterhand, führt er die Leser einmal mehr aufs Glatteis?

Figuren
Ich mag es, wenn sich ein Autor bei seiner Geschichte weitgehend an wenige Charaktere hält. Das hilft vor allem dann, wenn man eine neue Serie aufbaut und die zentralen Figuren erst einmal kennen lernen muss. Aber auch insgesamt kann es – so finde ich – hilfreich sein, wenn man intensiver an der Seite von wenigen Charakteren ist, mit denen man sich als Leser wohlfühlt und deren Schicksal man gerne begleitet.
In der Hinsicht macht Arne Dahl in seinem neuesten Roman erst einmal vieles/alles richtig. Der Leser ist an der Seite von Hauptfigur Sam Berger, erfährt vieles über ihn. Da Dahl die Geschichte in der dritten Person erzählt, bleibt allerdings eine gewisse Distanz, man bekommt als Leser nicht direkt jeden Gedanken aufgetischt.
Berger ist um die 40, Vater von zwei Jungs, die aber inzwischen mit der Mutter und dem neuen Mann der Mutter in Frankreich leben – etwas, das Sam sehr frustriert. Er kniet sich tief in die Arbeit, überschreitet dabei immer wieder ganz bewusst Grenzen, ist mehr Einzel- als Teamspieler. Das wirkt einerseits dann nicht sehr sympathisch, andererseits macht die Tatsache, dass Sam Berger Ecken und Kanten hat, ihn als Figur interessant.

Zunächst erstaunt es mich als Leserin, dass bei einem neuen „Ermittlerteam“ für das ich anfangs Sam Berger und Deer, seine Kollegin, halte, nur eine Figur so im Mittelpunkt steht und die anderen wirklich nur eine Art Randrolle spielt.
Auch hier wieder das „Achtung, ich verrate etwas“: Hintergrund ist, dass sich später Molly Blom als zweite Hauptfigur heraus kristallisiert und Deer aus dem Blickfeld verschwindet.
Blom ist ein ziemlich passendes Gegenstück zu Sam. Sie erscheint sogar eine Art Sam Berger in weiblich zu sein: Unabhängig, dickköpfig, zielstrebig, bereit, Grenzen zu überschreiten, unnachgiebig.

Ich habe hier schon an einigen Stellen ein paar der Wendungen angedeutet. Mehr will ich hier und jetzt aber nicht verraten.


Fazit:
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Achtung: Auch hier gibt es einen schon einen Hauch von „Spoiler“.
„Sieben minus eins“ ist durchaus ein interessanter Auftakt zu einer neuen Schweden-Krimi-Reihe. Der verschrobene Ermittler Sam Berger hat Charakter, auch wenn man vielleicht nicht jeden seiner Charakterzüge mit Applaus quittieren würde. Und Molly Blom ist das passende Gegenstück, eine starke, durchsetzungsfähige Frau, die sich vom Dickkopf Berger nicht unterbuttern lässt.
Die Geschichte hat viele gute überraschende Wendungen, allerdings auch ein paar kleinere Längen.
Insgesamt vergebe ich daher (nur) vier Sterne für den Roman – aber auf alle Fälle eine Leseempfehlung.