Eine Frau am Rande des Zusammenbruchs

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katrinb Avatar

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Nach einem Streit mit ihrem Partner fährt die Ich-Erzählerin in die Psychiatrie, um sich dort selbst einzuweisen. Während sie wartet, dass sie an die Reihe kommt, gehen ihr Szenen aus der Vergangenheit durch den Kopf, wir erfahren von ihrer Kindheit, von ihrem schwierigen Verhältnis zu ihrer Mutter, von ihrem Stiefvater Siegfried und von der dünkelhaften Großmutter Hilde. Über allem schwebt ein Gefühl der Beklemmung, der Unsicherheit, man fühlt sich wie auf einem schwankenden Schiff in ständiger Erwartung irgendeiner Katastrophe. Als die Ich-Erzählerin den mittellosen Alex kennenlernt, scheint sich ihre Gemütslage zu entspannen, aber bald kommt es Streitereien…
Die Autorin schafft es wunderbar, die Verfassung der Ich-Erzählerin zu vermitteln. Man ahnt, dass die Instabilität der Ich-Erzählerin und ihre fast krankhafte Angst, Alex zu verlieren, aus einem einschneidenden und katastrophalen Erlebnis in ihrer Jugend herrührt. Als Leser*in wird man mitgerissen in diesen niederdrückenden Strudel, der die Ich-Erzählerin lähmt und am Alltag verzweifeln lässt. Der Stil der Autorin liest sich angenehm und oft poetisch, sie findet ungewöhnliche, starke, eindringliche Bilder. Über ihren geistesabwesenden Freund schreibt sie: „…aber für mich war es einer dieser Momente, in denen er aussah, als hätte er sein Gesicht verlassen , das deswegen für mich vollkommen ohne Anhaltspunkt war.“ (S. 110) Das Buch ist voll von solchen schönen Beschreibungen, die ich oft mehrmals gelesen habe, um sie voll auskosten zu können.
Das Buch lässt sich durchaus vergleichen mit „Lügen über meine Mutter“ und „Die Wut, die bleibt“. Alle drehen sich alle um eine ähnliche Thematik: Frauen am Rande des Zusammenbruchs und der Überforderung. „Siegfried“ fügt der Thematik eine neue, unerhörte und sehr eindringliche Facette hinzu.