Gefangen in alten Mustern

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rauschleserin54 Avatar

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„Legt man den Kopf ein wenig schief und guckt so von unten nach oben,
dann signalisiert man auf diese Weise Hilfsbedürftigkeit, Angewiesenheit,
Bindungsbereitschaft. Egal wie viel man verdient, egal welches Jahrhundert.
Ich nahm mir dieses Kostüm regelmäßig, wenn ich etwas auszugleichen hatte.“

Den Namen der Ich-Erzählerin dieses starken und aufrüttelnden Entwicklungsromans erfahre ich als Leserin nicht. Das passt ja auch, denn
sie ist auf der Suche nach sich selbst. Wie könnte sie dann einen Namen besitzen.
Auf dem Cover ist sie auch nur in ihrem Schatten lebendig, vielleicht in der,
die sie sein könnte. Sie selbst ist leer.

Sie hat einen herrschenden Stiefvater, um den sich hier alles dreht. Eine Mutter,
die ihr keine Mutter sein kann, weil sie selbst die Kontrolle behalten muss. Eine Großmutter oder besser nach deren Wünschen lieber
Hilde, die sie nach ihren Vorstellungen dressieren wollte. Alle sind mit sich selbst beschäftigt und die Protagonistin passt sich an, begehrt leise auf, wandelt ihre Persönlichkeit, bevor sie überhaupt weiß, was das ist.

Als sie schon schreibt, begegnet sie Alex, der unkonventionell lebt und Wände besprüht.
Alex ist anders, aber wen soll er lieben, wenn sie es selbst nicht weiß. Er kümmert sich um das Kind und liebt sie, so wie er es versteht.

„Nichts traf mich so sehr, wie der blicklose Blick, seine Mutter sah er auch immer so an, sie trug im auch ständig irgendetwas auf, fragte ihn, erinnerte ihn, wollte in seinen Kopf hinein klettern....“

Die Geschichte zeigt eine Frau im Chaos der täglichen Ansprüche, Emotionen,
Verirrungen, Sehnsucht nach dem Gesehen werden. Dem alten Muster folgen oder selbst ein Muster knüpfen? Sie ist so verwirrt, dass sie von der Psychiatrie als einen Ort der Ruhe träumt, um Antworten zu finden, was mit ihr ist.

Die Autorin schreibt schonungslos über die Verletzungen und Bürden der Nachkriegsgenerationen, bis in die jetzt über 30jährigen mit ihren Familien hinein.
Sie lässt Platz zwischen den Zeilen, erzeugt Gänsehaut, weil sie alles so klar benennt und öffnet für den Leser eine Schatulle Gefühle, die immer unter dem Teppich gekehrt wurden. Dieses Buch könnte eine Chance sein, alte Muster zu verlassen.
Dieses Buch ist Befreiungsschlag für die Unperfekten. Danke Antonia Baum!