Warum Siegfried?

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Bis Seite 150 ein ständiger Abbruchkandidat, danach etwas schlüssiger. Nein, Antonia Baum konnte mich mit dieser Befindlichkeitsprosa nicht so richtig erreichen.

Die Ich-Erzählerin des vorliegenden Romans ist eine Mitte 30jährige Schriftstellerin in einer Schaffens-, Finanz- und Beziehungskrise. Wobei hier alles sich gegenseitig bedingt und auch noch stark von der Kindheit der Erzählerin geprägt ist. Aber noch einmal einen Schritt zurück. Die Erzählerin begibt sich, nachdem sie ihrem Partner/Vater der gemeinsamen Tochter einen Seitensprung mit ihrem Lektor gebeichtet hat, in die ambulante Sprechstunde der Psychiatrie. Dort solle ein ganz sympathischer Oberarzt tätig sein und auf diesen wartet sie nun im Wartezimmer. Während der Wartezeit reminisziert sie nun über ihre Kindheit, die sie mit den Streitigkeiten der Mutter mit dem Stiefvater (Siegfried) und - wenn diese zusammen verreist waren - in der Obhut der Großmutter Hilde (Mutter von Siegfried) verbracht hat. Sie lebte in finanzieller Sicherheit, um nicht zu sagen in gut situierten Verhältnissen, in Lehre, Niedersachsen. Mit den Jahren ist Siegfried - immer adrett gekleidet, Firmeninhaber, Bauleiter, der vorwiegend in ostdeutschen Städten baut - scheinbar zum Nonplusultra der Lebensführung für sie geworden. Dieses kindliche Vorbild kollidiert nun mit ihrem Leben als mittellose Schriftstellerin mit einem Partner, der nicht nach den Konventionen lebt, also ab in die Psychiatrie.

Dieser Roman war wirklich ein anstrengendes Stück Arbeit. Aber nicht im Sinne von der lohnenswerten Arbeit, die darin steckt, z.B. einen anspruchsvollen Text zu lesen und zu verstehen, sondern die Arbeit lag eher darin, bei der Sache zu bleiben und nicht entnervt vorab abzubrechen. Die Autorin hat nämlich ein Problem, welches die Erzählerin - wir erinnern uns, ebenso Schriftstellerin - auch im Roman mit ihrem ewig unvollendetem Roman hat: das Plot-Problem.

Auf Seite 152 des Buches heißt es: „Und dann tranken wir schnell etwas, Benjamin [der besagte Lektor] lehnte sich wieder zurück, sprach über […], aber ich hörte nur mit halbem Ohr zu, denn mich beschäftigte seine Kritik an meiner Schwachstelle, das Plot-Problem. Die starke Erzählung, die fehlte, die im Nebel lag. Ich war traurig, wütend, ich wollte aus der Stelle verschwinden, aber ich lächelte, nickte.“

Exakt an diesem Problem leidet auch der Roman „Siegfried“. Es fehlt der ziehende Plot, die starke Erzählung. Zumindest auf den ersten 150 Seiten wirkt es einfach nur wie das Gefühlschaos einer überforderten Schriftstellerin, Partnerin, Mutter. Ohne, dass Zusammenhänge hergestellt werden zu den Ursachen, verhalten sich die Figuren zueinander nicht nachvollziehbar. Es wird mal hier mal dort eine Andeutung gemacht, die absolut nichts erklärt. Es wird ausschweifend u.a. über Hilde schwadroniert und Siegfried, die titelgebende Figur, bleibt nur am Rande erwähnt. Man fragt sich die ganze Zeit, was das denn soll, warum hier einfach nur behauptet wird, Siegfried sei der scheinbare Retter - oder besser: Ritter in schillernder Rüstung - für die Erzählerin. Da der Text über weite Strecken zusammenhangslos wirkt, war ich mehrfach kurz davor, das Buch anzubrechen, habe aber dann doch noch bis zum Ende durchgehalten. Und hier muss man zugeben: Das Buch wird nach diesen ersten 150 Seiten stärker, wenn vielleicht auch nicht gleich „stark“. Erst danach wird hergeleitet, warum die Protagonistin so tickt, wie sie tickt. Das ist dann durchaus im Sinne einer Reinszenierung ihrer Kindheitserfahrungen psychologisch nachvollziehbar. Insgesamt bleibt aber zu viel in diesem Roman blass. Der Ost-West-Konflikt wird immer mal wieder angeschnitten, hat aber auch irgendwie keinen Halt in der Geschichte und sagt wenig aus. Dieser eine Tag, den die Protagonistin im Wartezimmer in der Psychiatrischen Institutsambulanz verbringt, ist nur ganz, ganz dünn gestrickte Rahmenhandlung und könnte ebenso wegfallen. Mal davon abgesehen, dass das vollkommen unrealistisch dargestellt wird.

Insgesamt bin ich froh, noch die letzten 100 Seiten des Buches gelesen zu haben, so erschienen nachträglich die durchgequälten ersten 150 Steinen nicht mehr ganz so sinnlos verschwendete Lesezeit. Trotzdem gibt es durchaus bessere, zeitgenössische Roman, die das Thema der Erforschung eigener Befindlichkeiten in einer Beziehungskrise mit dem Hintergrund einer nicht ganz so blendend weißen Kindheit literarisch ansprechender bearbeiten.

2,5/5 Sterne