Ziellos

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missmarie Avatar

Von

Rezension Siegfried

„Wissen Sie, ich mag die Probleme meiner Protagonistin nicht. Zu viel Schmerz, zu schwach. Das ist das Problem.“

Schmerzen und Überlastung, die man nicht zulassen kann, nicht zulassen darf. Weil die Großeltern einem Härte beigebracht haben. Weil einer ja das Geld verdienen und den Laden zusammenhalten muss. Weil man als Mutter, als Ehefrau, als Versorgerin einfach weitermachen muss. Das sind die Probleme der Protagonistin dieses Buches. Ihre Gedanken aus dem oben stehenden Zitat sind Erklärungen für ihre Lektorin. Denn ihr neuer Roman ist wie so vieles noch nicht fertig geworden. Nicht man die geforderten 20 Seiten sind im Ansatz formuliert. Der namenlosen Frau wird alles zu viel. Als sie morgens den Ton von Sirenen in der Ferne nicht mehr los geht, beschließt sie, in die Psychiatrie zu gehen, sich selbst einzuweisen. Der Leser begleitet sie während der Zeit im Warteraum und folgt ihren Erinnerungen an die jüngere Vergangenheit und an die Kindheit.

Mit einer guten Portion Küchenpsychologie erkennt man schon bald Muster. Vielleicht leidet die Protagonistin an der Leihoma, die ihr Härte und Männlichkeit als obere Ziele gepredigt hat. Vielleicht ist es die eigene Schuld innerhalb der Familiengeschichte. Die Frage, warum man auf der falschen Seite stand. Vielleicht spiegeln sich in der Frau die desolaten Beziehungsmuster ihrer Eltern wieder. Man ist versucht, in die Rolle des Psychiaters zu schlüpfen, auf den die Frau wartet und die Erinnerungen wie ein Therapiegespräch zu deuten.

Man kann das tun - muss es aber nicht zwingend. Und das ist das große Manko: Wo die Autorin mit ihrem Roman hin möchte, wird nicht klar. „… denn mich beschäftigt seine Kritik an meiner Schwachstelle, das Plot-Problem. Die starke Erzählung, die fehlte, die im Nebel lag“, beschreibt die bücherschreibende Protagonistin an einer Stelle im Roman und liefert damit die Blaupause für den Roman. Die Themen sind wichtig und lassen sich aktuell in vielen Romanen finden: Häusliche Gewalt, kollektive Traumata, erschöpfte Frauen. Aber was nun genau die Handlung ist, wie die Stränge zusammenhängen - das erfährt der Leser nicht. So fühlt sich der Roman wie eine lange Kurzgeschichte an, an dessen Ende man mehr als ratlos zurückbleibt. Mir hat sich zumindest nicht erschlossen, was der Text sagen will.