Nach einem fulminanten Start ging dann die Luft aus

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maitre Avatar

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„Sing, wilder Vogel, sing“ von Jacqueline O`Mahony ist ein Roman, der mich mit zwiespältigen Gefühlen zurückgelassen hat. Zwiespältig deshalb, weil nach einem fulminanten Einstieg der restliche Teil des Romans das Niveau nicht halten konnte. Von der anfänglichen Begeisterung ist bis zum Schluss nur mehr ein „na ja“ übriggeblieben.
Die ersten 50 Seiten führen die Leserinnen in die beiden Schauplätze ein, in denen die Protagonistin Honora lebt. Honora wächst als Außenseiterin in einem irischen Dorf auf. Die Mutter stirbt bei der Geburt, der Vater kann keine emotionale Bindung zu dem Kind aufbauen. So verbringt sie die meiste Zeit ihrer Kindheit im Wald. Von den anderen Kindern wird sie gemieden oder gehänselt. Nur der Lehrer achtet sie, weil sie ein besonders intelligentes Kind ist. Wider Erwarten verliebt sie sich später in einen Mann, der sie heiratet. Aber die Wilde zu zähmen, erweist sich als schwierig. Als dann die Hungersnot über Irland hereinbricht und die Menschen ums nackte Überleben kämpfen, müssen Honora, ihre Familie und die Dorfgemeinschaft einen mühsamen Marsch auf sich nehmen, um den Grundherren um Unterstützung anzuflehen.
Honora ahnt, dass der Marsch nicht gut enden wird. Auch für sie selbst nicht. Diese mystische Komponente zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Roman. Honora ist keine normale Frau, sondern mit übersinnlichen Fähigkeiten ausgestattet. Sie ahnt immer wieder Dinge voraus, hat ein besonderes Gespür für sich anbahnende Katastrophen.
Honora muss im Laufe ihres Lebens viel Leid ertragen. Am Ende wird sie nach Amerika auswandern und dort unter dem Namen Nell ein neues Leben beginnen. Wir begegnen ihr dabei schon zu Beginn in einem Bordell, wo sie als Prostituierte ihren Lebensunterhalt verdienen muss. Am Ende wird sie ihren Frieden finden, so viel sei an dieser Stelle verraten.
Insgesamt plätschert der Roman für mich zu oberflächlich dahin. Ich hätte mir etwa eine genauere Schilderung des Hungermarsches und weniger Action gewünscht. Honoras Schicksalsschlag kam mir sehr effektheischend vor. Es war für mich schwer nachvollziehbar, dass sie dies überlebt hat. Auch die Episoden in Amerika waren für mich zu klischeehaft. Es kommt die böse Haushaltshilfe ebenso vor wie der skrupellose Zuhälter mit der matronenhaften Bordellmutter. Als Krönung kommt noch der naturverbundene Indianer, dessen Silhouette auf dem Pferd sich aus der Prärie abhebt.
Wie gesagt, mehr als ein „na ja“ fällt mir nicht ein. Dem Roman zugutehalten muss man, dass die Schilderungen nie ins Schnulzige abdriften. Auch die Sprache ist angenehm und gut lesbar. Schade, dass die Autorin aus dem Thema nicht mehr gemacht hat.