Erschütternd

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cara_11 Avatar

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Unglaublich, was manche Menschen in Selbstüberschätzung ihren Nächsten zumuten: Jürgen Frank, einst Magazinär auf einem amerikanischen Stützpunkt, später Gebrauchtwagenverkäufer, ist überzeugt davon, dass das große Geld und das große Glück ihm hold sind. Erst versucht er sich mit Schiebereien von alten Armee-Kübelwagen und allerhand Krimskrams über dem Wasser zu halten, doch dann sieht er seine Chance, als er 300.000 Mark überantwortet bekommt, mit denen er Gebrauchtwagen kaufen soll. Jürgen setzt sich mit der Frau und den drei Kindern nach Frankreich, an die Cote d'Azur, ab, wo sie in Saus und Braus leben. Privatschule, Haus mit Pool, Philipp Pattek, Louis-Vuitton-Taschen, Hunde für die Kinder - you name it. Jürgen versucht sein Geld im Casino zu vermehren, doch irgendwann ist die Lawine nicht mehr aufzuhalten: er verliert alles und flüchtet, wieder mit der ganzen Familie, in einer nebulösen Aktion nach Portugal. Dort vegetieren sie ein knappes halbes Jahr in einem Hotel vor sich hin, mit tragisch-komischen Momenten wie der verfehlten Idee, ein Escortservice aus einem Hotelzimmer zu leiten, bis sie in einer weiteren Nacht- und Nebelaktion wieder aufbrechen müssen. Man wird wütend, wenn man liest, wie sehr die Familienmitglieder leiden, die Hunde monatelang nur noch Knochen zu fressen bekommen bzw. z. T. die vollge** Windeln des Kleinsten zerfetzen, das Mädchen sich schon fast für ein Essen irgendwelchen Fremden hingibt, keiner mehr einer Ausweg sieht, und selbst in diesen Situationen der Vater noch seinen Kopf durchsetzt, wenn er das Hühnchen (das Einzige, was die Familie noch zu essen bekommt) so scharf gewürzt kauft, dass es den Kindern nicht schmeckt. Das ist keine Kindheit, auch kein Abenteuer, sondern pure Folter.
Auf dieser weiteren Flucht (wo das Geld schon so knapp ist, dass der Tank des unterschlagenen Mietautos "nicht leer werden darf, sonst ist alles vorbei") werden aufgrund der immer aussichtsloser scheinenden Perspektive auch Gedanken wie kollektiver Selbstmord erstmals laut ausgesprochen. Frau Frank ist aber schon zu lethargisch, hat keine Kraft mehr, etwas zu entscheiden oder zu ändern, und sow wird auch das Finale von den Kindern, die viel zu schnell erwachsen werden mussten, eingeläutet werden. Doch das Lügen hört auch dann, vor den Behörden, nicht auf. Ein tragisches Bild, das aber in eine unglaubliche dichte, packende, wunderschöne Sprache verpackt wird. Unbedingt lesenswert!