Packend von Anfang bis Ende!

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kathrinshome Avatar

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„An Dora schätze ich ihren Lebenswillen, den Mut und die Entschlossenheit, mit der sie Probleme angeht. Sie entwickelt sich von einem verwöhnten Mädchen zu einer Kämpferin, in einer schlimmen Zeit wächst sie über sich hinaus. Beim Schreiben habe ich oft gedacht: Bei mir ist es nur eine Geschichte, aber viele Frauen haben so etwas damals wirklich erlebt.“ (Zitat Theresia Graw)

Bei ihr ist es nur eine Geschichte... aber was für eine! Theresia Graws neuster Roman ist eine packende Familien- und Liebesgeschichte, die zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs in Ostpreußen (heute Polen) spielt und mich von der ersten Zeile an gepackt hat.

(Achtung Spoiler) Die junge Dora führt ein priviligiertes Leben als Gutshoftochter; sie liebt die Pferde, das Reiten und ihre Familie. Sie verliebt sich in den besten Freund ihres großen Bruders und da dies auf Gegenseitigkeit beruht, macht Wilhelm von Lengendorff ihr einen Antrag. Aber den beiden kommt der Zweite Weltkrieg dazwischen und so muss neben Bruder Hans auch Wilhelm und später noch der Vater an die Front. Währenddessen soll Dora in Königsberg ihren Onkel Hermann unterstützen und lernt dort Curt von Thorau kennen – einen Kriegsfotografen, der sie stürmisch umwirbt.

Dora muss sich entscheiden... und kehrt an den sicheren Ort, ihr Zuhause auf dem elterlichen Gestüt, zurück. Dort geht das Leben trotz Kriegswirren seinen normalen Gang; die großen politischen Entscheidungen scheinen weit weg zu sein. Aber dennoch wird die Familie nach und nach in den Zweiten Weltkrieg hineingezogen: Zwangsarbeiter kommen auf den Hof, man hat Verluste zu beklagen, die wertvollen Pferde werden zwangsweise beschlagnahmt und irgendwann steht der Feind vor dem Hoftor... Die Familie muss fliehen. (Spoiler Ende)

Mit einer unglaublichen Leidenschaft erzählt Theresia Graw von einem Stück Zeitgeschichte, welches für viele so viel Veränderungen mit sich brachte. Sie schafft die Balance zwischen der Schönheit Ostpreußens und den grausamen Kriegswirren und packt diesen Zwiespalt in Worte, die mich fesseln. Es ist mir schwer gefallen, das Buch beiseite zu legen.

„Der 1. September 1939 war ein freundlicher, warmer Tag in Ostpreußen.Wiesen und Felder schimmerten golden im milden Licht des Altweibersommers. In der Luft glitzerten die vielen Spinnwegen und kündeten den nahegelegenen Herbst an.“ (Auszug S. 43)

„Mit jedem Kilometer, den sie vorankamen, bekamen die weißen Schneeflächen rechts und links des wegen mehr dunkle Flecken. Aus Feldern waren Friedhöfe geworden. Leichen lagen zwischen toten Pferden und Fuhrwerken mit zerbrochenen Rädern, es waren kleine Kinder, erfroren in der eisigen Kälte, alte Leute, die keine Kraft mehr hatten.“ (Auszug S. 522)

Dieser Kontrast hat sehr viel Eindruck hinterlassen!

Die deutsche Autorin hat meines Erachtens einen außerordentlich packenden und Eindruck hinterlassenden Roman geschaffen, der mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Er hat mich mitgenommen und vor meinem inneren Auge Bilder entstehen lassen, die noch lange nachhallen. Die Entwicklung Doras von einer verwöhnten bildhübschen Frau zu einer vom Schicksal gezeichneten, aber unbeugsamen und mutigen Kämpferin ist Theresia Graw sehr gut gelungen. Geschickt packt sie verschiedene Schicksale in eine Geschichte, ohne sich zu verzetteln oder ihren Roman gar langatmig erscheinen zu lassen. Diese Vielfalt rechtfertigt auch „den dicken Schinken“ und ich muss zugeben, nur zu gerne hätte ich noch mehr gelesen!

Für mich ist „So weit die Störche ziehen“ ein absolutes Lesehighlight. Es hat meine vollste Empfehlung verdient :-)