„Vom Winde verweht“ während des Zweiten Weltkriegs in Ostpreußen: dramatisch und emotional

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gluexklaus Avatar

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1939: Die sechzehnjährige Dora Twardy lebt glücklich mit ihrer Familie auf dem elterlichen Gestüt in Ostpreußen. Sie reitet mit großer Begeisterung, ist zum ersten Mal verliebt, in Wilhelm, den besten Freund ihres Bruders, liebt Tanzen und Feste und freut sich auf ihre Zukunft auf dem idyllischen Gut. Doch mit dem Kriegsbeginn endet die Zeit ihrer Unbeschwertheit abrupt und nichts ist plötzlich mehr so, wie es einmal war. Als Dora den Kriegsfotografen Curt von Thorau kennenlernt, steht sie auch noch zwischen zwei Männern.

Theresia Graws Roman „So weit die Störche ziehen“ liest sich sehr angenehm und flüssig. Dank des natürlichen Schreibstils hatte ich keinerlei Schwierigkeiten, mich sofort in der Geschichte zurecht zu finden und zu Dora, aus deren Perspektive der Roman verfasst ist, einen Zugang aufzubauen.

Dora Twardy erinnert sehr an Scarlett O‘ Hara aus Margaret Mitchells „Vom Winde verweht“. Sie lebt behütet auf einem Gut, ist sehr leidenschaftlich und willensstark, findet ihren eigenen Vorteil wichtiger als die Gefühle anderer und hat keine Ahnung von schlechten Zeiten. Doch mit Kriegsbeginn ist es mit dem angenehmen Leben vorbei und Dora muss lernen, Verantwortung zu tragen. Dabei verhält sie sich nicht immer emphatisch und rücksichtsvoll. So wie das junge Mädchen, die es gewohnt sind, immer das zu bekommen, was sie wollen, eben tun. Dora ist nicht perfekt, keine große politisch aktive Heldin, sondern einfach nur menschlich, dadurch authentisch und stimmig, aber nicht unbedingt immer hundertprozentig sympathisch. Genau wie Scarlett O‘Hara wächst sie mit ihren Aufgaben, entwickelt sich zu einer zupackenden, selbstbewussten und patenten Frau.
Auch Doras „Männer“ Wilhelm und Curt weisen Parallelen zu Ashley Wilkes und Rhett Butler auf. Aus diesem Grund hat mir die Personenkonstellation des Romans sehr gut gefallen. Einige Ähnlichkeiten - auch in der Dramaturgie- fielen sofort auf, andere waren etwas versteckter.

Während anfangs die Handlung noch etwas ruhiger und gemütlicher dahinzog und der Zufall für mich dabei manchmal eine zu große Rolle spielte, was teils etwas unglaubwürdig wirkte, fesselte mich die Geschichte ab dem Zeitpunkt der geplanten Flucht extrem. Die Szenen, die die Großmutter der Autorin wirklich ähnlich erlebt hat, werden so dramatisch, packend, emotional und mitreißend beschrieben, dass ich das Buch von da ohne Pause durchlesen musste. Ein ziemlich beeindruckendes Finale!

Theresia Graw hat die wahre Lebensgeschichte ihrer Großmutter mit Fiktion verwoben. Herausgekommen ist dabei ein packender Schmöker, der zum Ende hin seine volle Stärke entfaltet. Vor der großen „Schwester“ „Vom Winde verweht“ muss sich „So weit die Störche ziehen“ vor allem im Mittelteil und zum Schluss hin absolut nicht verstecken.