Ich kenn Dich, ich kenn Dich nicht...

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justm. Avatar

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Karla und Marie. Marie und Karla. Zwei unzertrennliche Schwestern.
Selbst nachdem Marie die fränkische Kleinstadtidylle für die große weite Welt, für New York, hinter sich gelassen hat, bleibt das Band zwischen den Beiden intakt.
Umso schwerer wiegt da der Verlust: Als Marie stirbt ist Karla völlig überfordert und muß sich dennoch mit Formalitäten, wie der Wohnungsauflösung, herumschlagen.
Als sie dort Bilder entdeckt, die ihre Schwester gemacht hat, scheint sich ein dunkles Geheimnis zu offenbaren und Karla zusammen mit ihrer Trauer zu verschlingen.


Anika Landsteiner erzählt auf knapp 350 Seiten eine Geschichte über Liebe, Verlust und Geheimnisse. Eine Geschichte, die aus dem Leben gegriffen scheint. Dazu wird eine traurige Tatsache der heutigen Gesellschaft geschickt in einen Nebenstrang verquickt, der letzten Endes dann gar nicht so nebensächlich ist.

Während man die Trauer, den Verlust und den Schmerz der Protagonistin im Grunde schon auf den ersten paar Seiten verspürt, gesellt sich im weiteren Verlauf des Buches das Gefühl einer dunklen Bedrohung dazu.
Das mag zum Einen dem "Geheimnis", das sich zwar nur nach und nach entblättert (dennoch aber zu erahnen ist), geschuldet sein, zum Anderen aber dem Vermögen der Autorin.
Sie schafft es Trauer und Düsternis in sprachliche Bilder zu pressen, die die Leser mit einer Wucht treffen, das auf jeden Fall Taschentücher bereit gehalten werden sollten.
Gleichzeitig gelingt es ihr aber auch die schönen Seiten aus der Vergangenheit der beiden Schwestern, die immer wieder in Rückblenden erzählt werden, in wunderschöne Worte zu verpacken, die die besondere Verbindung der Beiden klarmacht.

So wird, abwechselnd aus den Perspektiven von Marie und Karla, ein Bild zusammengesetzt, das erst in seiner Gesamtheit einen Sinn ergibt; das ein Geheimnis offenbart. Eine Lücke; ein Nichtwissen; ein Zweifeln daran, wie gut man sich, trotz aller Verbundenheit, tatsächlich kannte.

Und so ist dieses Buch keines über Trauer. Zumindest nicht nur. Viel mehr ist es eine Art Erinnerung. Daran das Leben zu leben. Vor allem aber nicht nur zu reden, sondern mehr zu erzählen. Für sich selbst, für seine Liebsten; für mehr Nähe und weniger Alleinsein!