Ein Antiheld

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So ironisch über das Jüdischsein kann nur ein Jude selbst schreiben. Der Protagonist in Micha Lewinskys Buch ist jüdisch, jedoch keineswegs religiös und gehört auch keiner jüdischen Gemeinde an. Die alten Bräuche oder Rituale kennt er kaum, seine beiden Kinder wachsen ohne Bezug zu Religion auf. Aber wenn es brenzlig wird, benutzt er das Jüdischsein als Ausflucht, als Erklärungsmodell oder letztlich sogar als „Waffe“ in einer Rangelei.
Der Autor schildert ihn, den einstmals mit seinem ersten Buch erfolgreichen Shootingstar der Literaturszene in der Schweiz und jetzigen Schriftsteller, der um Aufträge ringen muss, als einen unerwachsenen Mann, der ständig um sich selbst kreist und immer nur anderen die Schuld für seine Erfolglosigkeit gibt. Er ist ein Opportunist, der sich über sich selbst und seine Bedürfnisse nicht im Klaren ist.
Leitmotiv seines Handelns ist Flucht, denn „Er war Kind, Enkel und Urenkel von Geflüchteten“ (S.87), so erklärt er es sich selbst und er leidet unter diesem transgenerationellen Trauma. „Sein Trauma war ein Privileg. Wenn es ums Flüchten ging, hatte er einen Erfahrungsvorsprung. Dafür wollte er sich nicht rechtfertigen.“(S.102) Zumindest beruft er sich immer wieder darauf, wenn es ihm nützlich erscheint, sein teilweise unverständliches oder skurriles Verhalten sich oder anderen zu erklären. Seine Frau, seine Freundin, seine beiden Kinder – sie leiden alle unter seiner Neigung, vor allem Herausfordernden die Flucht zu ergreifen. Die überstürzte Flucht nach Brasilien allerdings geht auf seine Frau zurück.
Das ist unterhaltsam und flott geschrieben, wenn auch der täppische Held ohne Impulskontrolle irgendwann nervt und man den Eindruck hat, der Autor hat eher an ein Drehbuch gedacht als an einen in sich stimmigen Roman. Was auf dem Buchrücken steht, dass ihm irgendwann dämmert, dass er sich ändern muss, kann ich bei der Lektüre des Buches nicht feststellen. Ein neuer Rasierapparat, um sich den Bart abzurasieren, wird voraussichtlich nicht reichen, um eine nachhaltige und dauerhafte Verhaltensänderung hervorzurufen.
Eine Lektüre, die sich für die Sommerferien sicher eignet.