Lebens- und Liebesgeschichte(n) des Ben Oppenheim

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Ben ist frisch getrennter Zürcher Stadtneurotiker, Familienvater, nicht praktizierender Jude und Drehbuchautor – ganz in der Tradition der bekanntesten Protagonisten Woody Allens. Sein neuestes Drehbuch – für das sich bisher noch kein Käufer auftreiben ließ – handelt vom brasilianischen Exil Stefan Zweigs. So liegt es nahe, dass sich Ben und seine Ex-Frau Marina als Fluchtziel beim Ausbruch des befürchteten dritten Weltkriegs ebenfalls Brasilien ausgesucht haben und sie dorthin ihre kleine Familie in Sicherheit bringen wollen.
Der vermeintliche Ernstfall tritt schneller ein als gedacht und schon ist Ben auf dem Weg ins Exil – mit Ex-Frau und Kindern. Seine neue Freundin Julia, in die er eben noch heftig verliebt war, bleibt allein zurück in Zürich. Seine Kommunikationen mir ihr, mit Marina und mit neuen Bekanntschaften in Südamerika erleben wir stets aus der Sicht Bens – inklusive zahlreicher Erklärungen und Rechtfertigungen des eigenen Verhaltens, die er leider den anderen Figuren vorenthält.
So geben von Anfang an weite Strecken des Buchs Bens Ängste und Gedanken akribisch wieder. Wir verfolgen direkt Bens inneren Monolog und seine ständige Selbstrechtfertigung und erleben genauso direkt, wie er sich seine eigenen Entscheidungen schönredet und alle Vorwürfe anderer an sich abprallen lässt. Das ist meist ziemlich interessant und unterhaltsam, rückt unseren Protagonisten aber nicht unbedingt in das beste Licht und lässt ihn stellenweise geradezu unsympathisch wirken. Dafür hat man als Leser um so mehr Spaß daran, zu beobachten, wie Ben so einige Dinge fehlinterpretiert und einfach nicht verstehen kann, dass andere Menschen eine andere Sicht auf die Dinge haben, als er annimmt.
Besondere Schuld an seiner Sichtweise auf die Welt hat seiner Meinung nach das ererbte Trauma der Verfolgung des jüdischen Volkes allgemein und das persönliche Trauma seiner direkten Vorfahren, das sich in Bens DNA festgeschrieben hat. So ist der Roman nicht nur eine Erzählung über die Flucht Bens und seiner Familie, sondern versucht, allgemeingültige Aussagen über Flucht, Krieg, Trauma und Verfolgung zu machen. Klare Leseempfehlung!