Wer hat schon das Leben, das er sich wünscht?

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buecherfan.wit Avatar

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Nele Neuhaus, bekannt als Autorin der Taunuskrimis, hat unter ihrem Mädchennamen Löwenberg den Roman “Sommer der Wahrheit” geschrieben, der in dem kleinen Ort Fairfield in Nebraska spielt. Im Mittelpunkt steht die 15jährige Sheridan Grant, die nach dem (angeblichen) Unfalltod ihrer Eltern als knapp Dreijährige von Vernon und Rachel Grant adoptiert wurde. Die Familie hat vier Söhne und ist ungeheuer reich. Sie leben auf der riesigen Willow Creek Farm. Zu ihrem Adoptivvater hatte Sheridan lange Zeit ein sehr gutes Verhältnis, während seine Frau sie immer schon abgelehnt hat und ihr täglich das Leben schwer macht. Rachel Grant stammt aus einer ultramethodistisch geprägten Familie und zwingt allen ihre intolerante, freudlose Frömmigkeit auf. Nur ihr jüngster Sohn Esra - etwa in Sheridans Alter - kann ungestraft tun, was er will.

Eines Tages kommt es zur Katastrophe. Sheridan hat sich wieder einmal dem Verbot ihrer Eltern widersetzt und sich mit ihren Freunden in der alten Getreidemühle getroffen, um Musik zu hören und von einem anderen Leben zu träumen. Sie werden von Sheriff Benton und seinen Leuten verhaftet. Als Sheridans Vater sie abholt, wird sie zum ersten Mal geschlagen und danach wochenlang von ihrer Mutter hart bestraft. Sheridan fühlt sich von ihrem Adoptivvater im Stich gelassen und sieht ihren Platz nicht mehr in dieser Familie.

Der Roman berichtet aus Sheridans Sicht über die folgenden entscheidenden drei Jahre ihres Lebens, in denen sie die Sexualität entdeckt, wichtige Erfahrungen macht und intensiv der Frage nachgeht, wer ihre biologischen Eltern waren und warum ihre Adoptiveltern sie ihr Leben lang belogen haben. Der einst so geliebte Vater weicht jedem Gespräch aus. Am Ende hat sie nicht nur Rachels und Esras Schikanen überlebt, sondern auch das große Familiengeheimnis aufgedeckt. Dann wird sie nichts mehr davon abhalten, das öde Kaff mit seinen bigotten Spießern zu verlassen und anderswo ein Leben zu führen, das ihren Talenten und Interessen entspricht.

Die Autorin hat sorgfältig recherchiert und einen Roman geschrieben, der gut zu einem aktuellen Trend in der amerikanischen Erzählliteratur passt. Er liefert das typische Bild des ländlichen Amerika, wo die Versprechungen des amerikanischen Traums für die meisten Menschen nicht gelten. Wer die Möglichkeit dazu hat, entflieht der Langeweile und Chancenlosigkeit in der zurückgebliebenen Provinz, sobald er kann.

Ich will gar nicht leugnen, dass der Roman einen starken Sog entfaltet und sich gut liest. Dennoch hat er einige Mängel. Sheridan ist eine sympathische Protagonistin, der man ein besseres Leben wünscht. Für sie kommt es wirklich knüppeldick. Ihre Adoptivmutter ist so abgrundtief böse, ihr Bruder Esra so boshaft und verkommen, dass sie fast schon wie eine Karikatur wirken. Mich stören zudem sprachliche Mängel. Zum Beispiel spricht Sheriff Benton nicht, sondern er knautscht oder knarzt Sehr seltsam. “Sommer der Wahrheit”  ist keine große Literatur, bietet aber recht gute Unterhaltung.