Nach dem Rausch kommt die Ernüchterung

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Sheridan Grant lebt mit ihrer Familie auf einer Farm in Nebraska. Außer Schule und ihrer häuslichen Pflichten hat sie in der Einöde kaum Abwechslung. Der musikalische Teenager leidet obendrein unter den Bestrafungen durch ihre Stiefmutter Rachel. Diese zieht ihren jüngsten Sohn Esra allen anderen Kindern vor und lässt ihm alles durchgehen, selbst wenn das gesetzliche Strafen erfordern würde. Mit ihrem Einfluss auf die Gemeinde Fairfield wendet sie größeren Schaden von ihm ab. Immer hat sie auch den Ruf der Familie im Blick und beugt dafür schonmal die Wahrheit. Vater Vernon zieht sich immer mehr in die Welt der Politik zurück und die Zeiten seiner Abwesenheit zu Hause werden immer länger. Sheridan ist ihrer intriganten Mutter viel zu oft schutzlos ausgeliefert und gerät dabei in lebensbedrohliche Situationen.

Nele Löwenberg, besser bekannt unter dem Namen Nele Neuhaus, wagt sich hier an eine vollkommen andere Geschichte. Sie lässt ihre Protagonistin die Ereignisse von vor 20 Jahren im Rückblick erzählen. Die damals 13-jährige musste auf der Willow Creek Farm eine Menge brutaler Gewalt in seelischer wie körperlicher Hinsicht aushalten. Das Adoptivkind ist ständig auf der Suche nach Liebe und Zuneigung. Dabei fehlt ihr jede Grundlage, ein natürliches Vertrauen aufzubauen. Nachdem sie heimlich erotische Literatur aus der Bibliothek ihres Vaters gelesen hat, beginnt sie sich scheinbar wahllos den Männern an den Hals zu werfen. Da gibt es den Farmarbeiter Danny, den vermeidlichen Künstler Christopher und sogar einen Referent mit denen sie wahre Ekstasen erlebt. Lediglich der Rodeoreiter Nicholas widersteht ihren Reizen. Dieses Handeln ist für den Leser zwar aufgrund der zwischenmenschlichen Kälte innerhalb der Familie nachvollziehbar, in seiner Häufung aber auch bald abgenutzt. Mir hätten drei Darstellungen genügt, um Sheridans Sehnsüchte erkennen zu lassen.

Die Familiengeschichte scheint mir ebenfalls nicht ganz ausgereift. Die Idee mit der Adoption und des dahinterstehenden Krimis ließ bei mir pure Vorfreude aufkommen. Leider wurde ich enttäuscht. Nicht nur, dass mir die Nachforschungen in Echtzeit beschrieben schienen, sondern das junge Mädchen stolpert regelrecht über Hinweise. Je nach aktuellem Liebhaber kommt sie der wahren Geschichte näher. Stück für Stück wird das Lügenkonstrukt demontiert, sodass Unglaubliches zutage kommt. Durch diese Wendung profitiert das ganze Buch und animiert zum Weiterlesen, obwohl mich keine der Haupt- und Nebenfiguren überraschen konnte. Bereits ab dem ersten Auftauchen kann man deren Rolle erkennen und diese behalten sie dann auch bei. Hier wurde das Potential für Spannung und Empathie einfach nicht genutzt.

Vielleicht waren meine Erwartungen nach dem Lesen der überaus erfolgreichen Krimiserie der Autorin zu hoch, dass mich dieser Genrewechsel mit gerunzelter Stirn zurückließ. Als positiv habe ich die Beschreibungen des mittleren Westens der USA empfunden. Hier konnte ich mich einfangen lassen und mich in die raue aber wunderschöne Landschaft der unendlichen Weiten versetzen. Auch die dort gängigen Gesellschaftsregeln im Umgang miteinander und in religiöser Hinsicht wurden plausibel und glaubhaft geschildert. Insgesamt reicht mir das aber nicht zu einer spannenden Familiengeschichte. Nur selten wünsche ich mir bei noch offenen Fäden eines Plots, dass daraus keine Fortsetzung folgt.