Zwiegespalten

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
bedard Avatar

Von

Unter ihrem Geburtsnamen Nele Löwenberg hat die Krimiautorin Nele Neuhaus ein Buch veröffentlicht, über das sie selbst sagt, sie wollte einmal etwas anderes schreiben.
Der Roman spielt im ländlichen Nebraska. Die Ich-Erzählerin Sheridan Grant ist 1994 ca. 15 Jahre alt und wurde als Kleinkind nach dem Unfalltod ihrer Eltern von der einflussreichen Familie Grant adoptiert. Ihren Vater liebt sie, auch wenn er selten Zuhause ist, ebenso ihre drei wesentlich älteren Adoptivbrüder. Zu ihrer Adoptivmutter Rachel und deren fast gleichaltrigen Lieblingssohn Esra hat sie allerdings ein sehr schlechtes Verhältnis. Beide behandeln sie eher wie eine verhasste Hausangestellte und machen ihr das Leben schwer.
Doch dann wird Sheridan das Leben auf der Farm und in der Kleinstadt zu eng. Sie revoltiert, macht ihre eigene Musik und geht aus Neugier sexuelle Beziehungen mit älteren Männern ein. Das Verhältnis zu ihrem Vater wird jetzt auch schlechter und sie findet heraus, dass ihr über ihre Herkunft die Unwahrheit gesagt wurde. Ihre Mutter ist ermordet worden und sie war die Schwester ihrer Adoptivmutter. Zutiefst verunsichert will Sheridan die ganze Wahrheit herausfinden, doch ihr Adoptivvater entzieht sich immer mehr. Lediglich ihre Tante Isabella und der wesentlich ältere Rodeoreiter Nick stehen ihr noch zur Seite. Als sich mehrere schreckliche Erfahrungen aneinanderreihen, droht Sheridan zu zerbrechen.
In angenehm lesbarer Sprache wird die extreme Geschichte eines weiblichen Teenagers in einer Kleinstadt erzählt, die in den 50er-Jahren stehengeblieben ist. Ein Ort, in dem das alljährliche Rodeo den Höhepunkt darstellt, Hochzeiten in den Erntezeitplan eingefügt werden und die Teilnahme am Gottesdienst obligatorisch ist. Fernsehen oder gar das Internet gehören nicht zu den verfügbaren Freizeitaktivitäten. Die übertriebene Religiosität der Adoptivmutter und das scheinheilige Verhalten passen da sehr gut ins Bild. Ein intelligentes Mädchen wie Sheridan muss dagegen rebellieren und sich gegen die zunehmenden Ungerechtigkeiten und Übergriffe zur Wehr setzen.
Kaum glaubhaft ist für mich allerdings das Maß der schrecklichen Erfahrungen, die Sheridan an allen Ecken machen muss. Demgegenüber steht dann ein Ende, das schon fast kitschig daherkommt. Weniger wäre hier mehr gewesen.
Mein Fazit: ein gut lesbarer, unterhaltsamer Roman. Die Charaktere werden sehr sorgfältig entwickelt, auch das Kleinstadtleben ist sehr bildhaft gezeichnet. Lediglich das Ausmaß der dramatischen Ereignisse um Sheridan und die versöhnliche Wendung am Ende sind für meinen Geschmack etwas übertrieben.