Diese Paris-Reise kann man sich sparen

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justm. Avatar

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Auf mehreren Spaziergängen habe ich mir Lily Martins „Sommertage im Quartier Latin“ vorlesen lassen. Sprecherin Tanja Fornaro hat dabei gute Arbeit geleistet, gerade auch was das französische Vokabular anging.

Und damit wäre ich schon bei einem – für mich – großen Manko.
Direkt nach einem der ersten Male des Hörens, mußte ich recherchieren, ob dieses Buch schlecht übersetzt wurde oder da jemand einfach ein bißchen zu viel des Guten wollte. Es stellte sich raus, daß Lily Martin das Pseudonym einer deutschen Autorin ist. Und die wollte wohl auf Biegen und Brechen ihre Leser*innen bzw. Hörer*innen davon überzeugen, daß ihre Geschichte in Paris spielt. (Hätte man ja nach dem Titel vergessen haben können.) Anders kann ich es mir nicht erklären.
Dabei geht es mir noch nicht mal darum, daß ständig von Rue de la Bla Bla, Avenue de Blub Blub oder Place de la Sowieso erzählt wird (als würde tatsächlich irgendjemand mit einem Stadtplan daneben sitzen und die Routen verfolgen), auch nicht um das beinahe schon zwanghafte Einbauen aller bekannter französischer Auto- und Zigarettenmarken. Nein, viel mehr war es das Verwenden aller möglicher französischer Vokabeln von denen die Autorin dachte sie könnte damit durchkommen, daß man sie ohne Übersetzung benutzt, d'accord?! Bon! Da wird nicht „Gute Nacht“ gewünscht, es muß „Bonne nuit“ sein, rive gauche, rive droite, salut, bon jour, ça va, et allez vous, n'est-ce pas? Merde!

Ich würde darüber hinwegsehen können, wenn die Detailverliebtheit der Autorin was alles Französische angeht, nicht auf Kosten der eigentlichen Geschichte und deren Details gegangen wäre, aber genau das war hier der Fall.
Da waren Kleinigkeiten wie ein bestellter Martini mit Zitrone, aus dessen Nachfolger später aber die Olive geknabbert wird. Oder aber ein speziell erwähntes schwarzes Hemd (damit man keine Schweißflecken sieht), das dann aber später weiß im Dunkeln leuchtet. Und geht hin zu eklatanteren Fehlern, was die Beschreibung der eigenen Charaktere angeht.

Denn eigentlich geht es in „Sommertage im Quartier Latin“ um die (Liebes-)Geschichte zwischen Lola und Fabien. Die vielen Figuren Drumrum kommen und gehen und sind eher Steigbügelhalter für die Beiden. Selbst die Geschichte von Lolas Großmutter, die der Grund für Lolas Rückkehr nach Paris ist, wird nur beiläufig und eher lieblos erzählt.
Lola hat zu Beginn des Buches ihre Mutter im Kindesalter von 8 oder 9 verloren. Am Ende des Buches war es kurz vor ihrem Abitur.

Und dieser Verlust, der hier dafür herhalten soll, daß Lola Bindungsschwierigkeiten hat, wird nicht mal richtig beleuchtet. Vielmehr erscheint Lola flatterhaft und unbesonnen, was es schwer macht sie als Hauptfigur zu mögen. Kurz nachdem sie Fabien, den alten Schulfreund, wieder trifft, heißt es noch, daß sie kaum Gedanken an ihn verschwendet hat, einen einzelnen Kuß im Grunde fast vergessen hatte, nur um am Schluß zu meinen, daß sie „immer wußte“, daß sie mit Fabien keine Affäre haben könnte, so wie mit all den anderen Männern. Ja, was denn nun?

Es sind solche „Kleinigkeiten“ die sich zu einem großen Ganzen zusammensetzen, daß es mir unmöglich macht dieses (Hör-)Buch tatsächlich ernst zu nehmen, geschweige denn zu mögen.

Was eine nette kleine Sommer(liebes)geschichte hätte sein können, wurde so zu einer Ansammlung von Klischees über Paris und seine Bewohner. Inklusive Catcalling und Bodyshaming.

Und so kann ich den letzten Satz des Epilogs, in dem dann auch noch unerklärlicherweise die Erzählperspektive zu einer Ich-Erzählerin wechselt, „Wir sehen uns wieder im Sommer in Paris.“ tatsächlich nur als Drohung verstehen.