Das Vergangene ist nicht tot

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theresia626 Avatar

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Der Kriminalroman „Später Frost“ beginnt mit einer kurzen Rückblende in das Jahr 1948. In Katamon, einem Stadtteil von Jerusalem, wird auf die Insassen eines UN-Konvois ein Attentat verübt. In dem Wagen sitzen Graf Carl Wennerberg, weiterhin ein französischer Offizier, der Fahrer und der Schwede Henrik Larsson. Der schwedische Diplomat Wennerberg war für die Vermittlung zwischen den israelischen und palästinensischen Interessen zuständig; ein heikler Auftrag, eine heikle Position.

Schweden, heute. Hauptkommissar Gunnar Berg, der Leiter der Kriminalpolizei Växjö ist durch einen Autounfall „wegen eines verdammten Wildschweins“ (S. 22) auf der Landstraße nach Tingsryd schwer verletzt worden und muss in Frühpension gehen. An seine Stelle tritt die erfahrene und kompetente Kommissarin Ingrid Nyström. Nyströms erster Arbeitstag ist auch der erste Arbeitstag der jungen Deutsch-Schwedin Stina Forss, die Deutschland – aus privaten Gründen - hinter sich gelassen hat und Växjö nach einer zweitägigen, sehr beschwerlichen Anreise erreicht. Eine Woche nach ihrer Ankunft fährt sie mit Nyström zu ihrem ersten Einsatz nach Ramnasa. Balthasar Melchior Frost, ein greiser Insektenforscher, wurde in seinem Tropenhaus grausam ermordet. Ihm wurde ein Finger abgetrennt. Frost war ein sehr vermögender und gutmütiger Engländer, der schon viele Jahre sehr zurückgezogen auf dem riesigen Grundstück gelebt hatte. Anfangs galt seine große Leidenschaft der Zucht von tropischen Schmetterlingen. Sein langjähriger Freund Frederik Axelsson, der den Leichnam fand, brachte Frost auf die Idee Seidenspinner zu züchten und selbst Seide herzustellen. Beide waren begeisterte Anhänger der japanischen Kalligrafie.

Die Ermittlungen gestalten sich anfangs schwierig und landen immer wieder in einer Sackgasse, auch weil viele der Befragten sich in Schweigen hüllen. Erste Hinweise bekommen Nyström und ihr Team von Marianne, einer Pflegekraft eines privaten Pflegedienstes, die seit über fünf Jahren nach Frost gesehen und deren Gesellschaft er gesucht hatte. Sie ging ihm im Haushalt zur Hand, durfte aber niemals die obere Etage des Hauses betreten. Was verbarg Frost vor der Öffentlichkeit? Außerdem bringen sie in Erfahrung, dass es einen Mann gab, einen Österreicher, der Frost mehrmals bei seinen Vorträgen über Schmetterlinge öffentlich bedroht hatte. Stina Forss entdeckt am Tatort eine Art Origami-Kunstwerk. „Ein kleiner, kunstvoll gefalteter Würfel mit einer Kantenlänge von gerade einmal zwei Zentimetern… Stina drehte und wendete den Würfel vorsichtig. Jetzt erkannte sie Zahlen und Buchstaben.“ (S. 77). Ist das kleine Kunstwerk der Schlüssel für die Lösung dieses komplizierten Falles?

Der Kriminalroman „Später Frost“ des neuen deutsch-schwedischen Autorenduos Voosen/Danielsson hat sich trotz leichter Anlaufschwierigkeiten gut lesen lassen, denn der Leser braucht Durchhaltevermögen. Erst ab der Mitte des Buches wird der Kriminalroman interessant und spannend. Das liegt zum Großteil an der Vielzahl der eingeführten und beschriebenen Protagonisten. Auch stellt sich der Leser lange Zeit die Frage, ob jemand den Anschlag 1948 überlebt hat und wie das alles mit dem Tod von Frost nach über 60 Jahren zusammenhängt. Im Alleingang und ohne Genehmigung von Nyström begibt sich Stina Fross auf eine Reise nach Jerusalem, in die Vergangenheit und an den Schauplatz des Attentats von 1948. Was sie dort entdeckt, bringt eine überraschende Wende in die Ermittlungen.

Frosts ausgeklügelter und raffinierter Plan, sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen ging viele Jahre gut. Er führte im Geheimen und Verborgenen ein fast erfülltes und glückliches Leben. Doch dann wurde er durch einen Zufall enttarnt und später erpresst. Dem Erpresser musste er einen hohen Preis für sein Schweigen zahlen. Nicht nur der Insektenforscher Frost ist lange Zeit eine geheimnisvolle Person, auch die Deutsch-Schwedin Forss umgibt ein Geheimnis, das das Autorenduo in seinem Erstlingswerk nur in Ansätzen enthüllt. Hier kann der Leser in dem zweiten Band, der in Planung ist, auf eine Auflösung hoffen. Der Plot von "Später Frost" ist sehr kompliziert und berührt eine Vielzahl von Themen. Die Zusammenhänge erschließen sich dem Leser erst am Ende. Ein unterhaltsam geschriebener Kriminalroman aus der schwedischen Krimiküche, der zum Schluß richtig in Fahrt kommt.