Ein ganz besonderes Jugendbuch - die Spinster Girls

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Evie ist nicht normal. Zumindest glaubt sie das, denn sie leidet an einer generalisierten Angststörung und einer Zwangsstörung. Diese Erkrankung hat ihr Leben zum Stillstand gebracht: Es fing mit Kleinigkeiten an, bis Evie sich irgendwann geweigert hat, ihr Zimmer zu verlassen oder sogar zu essen und sich stattdessen ständig waschen musste, solange bis ihre Haut blutig geschrubbt war. Evie ist in Therapie und nach einem stationären Aufenthalt und vielen Therapie-Sitzungen ist sie nun soweit in ihr normales Leben als College-Studentin zurückzukehren.

Evie kann ganz von vorne anfangen. Am College weiß niemand, was mit ihr geschehen ist, außer ihrer besten Freundin Jane, die sie während dieser schlimmen Zeit unterstützt hat. Doch Jane hat nur noch Augen für ihren neuen Freund Joel. Sie verändert sich nicht nur äußerlich, sondern wird auch zum abhängigen Groupie, das keine Zeit mehr für Evie hat. Doch der Verlust ihrer besten Freundin ist nicht alles, mit dem Evie in ihrem neuen „besseren“ Leben zu kämpfen hat. Durch die schrittweise Reduzierung ihrer Medikamente kehrt zwar ihr Lebensgefühl zurück, aber mit diesem Gefühl auch die unguten und sehr unguten Gedanken. Evies größte Angst ist, dass ihre Angst wieder zurückkehrt, ihr den Atem raubt und sie zu Dingen zwingt, die ihr schaden, die sie aber tun muss.

Spinster Girls – Neue Freundinnen: der Spinster Club

Und während Evie neue Erfahrungen am College sammelt, immer darauf bedacht, dass niemand mitbekommt, dass sie in Wahrheit „verrückt“ ist, geht Jane eben ganz andere Wege: Sie verändert ihr Äußeres komplett und hat nur noch Augen für ihren Freund Joel, der in einer Musikband spielt. Evie vermisst ihre beste Freundin und es schmerzt sie zu sehen, dass sie sich so weit voneinander entfernt haben. Aber Evie findet auch neue Freundinnen, nämlich Lottie aus ihrer frühen Schulzeit – vor ihrer Erkrankung – und Amber, die auch ganz neu am College ist.

Die beiden nehmen Evie nach ihrem verkorksten ersten Date mit Ethan in ihre kleine Gruppe auf und bald entwickelt sich zwischen den Dreien eine echte Freundschaft. Lottie ist intelligent und steht zu ihrer Meinung, doch die schützt sie nicht vor Liebeskummer. Amber ist kreativ und gutaussehend und groß, doch ihre Größe macht ihr zu schaffen, denn kein Junge scheint das an ihr zu mögen; glaubt sie. Und irgendwann erkennen die Mädchen die Tragweite dieser Gedanken: Warum richten sie sich immer nach den Jungs, warum lassen sie mit sich spielen, fühlen sich schlecht und stehen dann doch im entscheidenden Moment nicht für sich ein? Lotte, Amber und Evie haben genug davon und sie gründen den Spinster Girls Club – für Feminismus und Themen, die junge Frauen beschäftigen und sich nicht immer nur um Jungs und Liebe drehen.

Und obwohl die drei Mädchen frei über Dinge sprechen, die sie beschäftigen, traut Evie sich nicht, ihnen die Wahrheit über ihre Vergangenheit und ihre Gegenwart zu sagen. Sie glaubt, dass die Mädchen sie dann zurückweisen und sich von ihr abwenden. Und so zwingt sie sich der Normalität hinterherzujagen, während die unguten Gedanken immer stärker werden …

Spinster Girls – Ein besonderes Jugendbuch

Evie ist angekommen in ihrem neuen Leben. Sie geht regelmäßig zu ihren Therapie-Sitzungen mit Sarah, sie schreibt in ihr Therapie-Tagebuch und sie hat Freundinnen gefunden. Doch die unguten Gedanken werden mit der immer geringer werdenden Dosierung ihrer Medikamente immer stärker. Wann hat sie sich zuletzt die Hände gewaschen? Und sind sie nun wirklich sauber? Zur Sicherheit sollte sie einfach nochmal richtig gut schrubben. Und wie kann sie überhaupt in Ambers Zimmer stehen oder atmen, das unordentlicher und dreckiger nicht sein könnte?

„Spinster Girls – Was ist schon normal?“ ist ein Jugendbuch, das sich zum einen Teil mit ganz klassischen Themen des Heranwachsens beschäftigen: Jungs und Mädchen, Dating, die erste Liebe, ein neues Leben am College, erste Erfahrungen im Allgemeinen und Freundschaft. Doch zum anderen Teil ist dieses Buch ein wahrer Schatz an wichtigen und ernsten Themen: Angst- und Zwangsstörungen, Minderwertigkeitskomplexe, Sexismus sowie die Bedeutung von Feminismus und was es heißt immer der gesellschaftlichen Norm entsprechen zu sollen.

Vielleicht hat Holly Bourne genau den Zahn der Zeit getroffen (auch wenn ich mir wünschte so ein Buch in meiner Jugend gehabt zu haben). Feminismus liegt im Trend, gewinnt wieder an Bedeutung und wird befreit von diesem männerhassenden Dogma – zumindest in meiner Weltsicht. Und in „Was ist schon normal?“ bringt die Autorin ganz gekonnt feministische Begriffe und Konzepte ein, indem sie ihre drei Charaktere in Situationen stürzen lässt, die ein reflektiertes Verhalten geradezu herausfordern. Und Lottie, Amber und Evie gehen mit der Gründung der Spinster Girls darauf ein: Sie thematisieren die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen, sie sprechen über ihre Sorgen und ja, auch über Jungs und wie sie es schaffen können, sich mehr auf sich zu fokussieren anstatt daran zu denken, was jenen gefallen könnte. Dabei schafft Holly Bourne es ganz gekonnt keinen belehrenden Ton anzuschlagen, sondern nutzt trotz all dieser ernsten Themen einen leichten und angenehm zu lesenen Schreibstil.

Die Spinster Girls sind eine absolute Leseempfehlung. Dieses Jugendbuch zeigt nicht nur, wie schwer es ist erwachsen zu werden und wie vielen Stolpersteinen man auf diesem Weg begegnet. Es zeigt auch, dass psychische Erkrankungen immer noch unterschätzt und mit vielen Vorurteilen belegt sind. Ebenso ist der Umgang mit diesen kein leichtes Unterfangen, weder für die eigene Familie noch für Freunde oder auch Betroffene. Mehr Offenheit wünsche ich mir persönlich, denn Dinge, die im Verborgenen bleiben, führen immer zu viel Spekulation und falschen Vorurteilen. Holly Bournes drei Hauptcharaktere Evie, Amber und Lottie sind darüber hinaus ganz sympathische Mädchen mit Fehlern, mit Ängste, mit Herzen, Träumen und Hoffnungen. Mit ihnen zeigt Bourne, dass vieles nur Schein ist, fernab der Realität und dem, was im Inneren jeder einzelnen von ihnen vorgeht.

Spinster Girls – Normalsein war gestern

Normalsein, ist nicht das Maß aller Dinge. Jeder hat Ängste und jeder hat Probleme. Und manche davon sind größer als andere oder erfordern mehr Arbeit, mehr Zeit, mehr Aufmerksamkeit, aber deshalb darf niemand zum Außenseiter gemacht werden oder dazu gezwungen sein, geheimniskärmerisch alles zu verstecken. Gesellschaftliche Normen und der Druck, der durch diese erzeugt wird, kann einen Menschen kaputt machen oder in die Einsamkeit treiben. Holly Bournes „Spinster Girls“ ist ein Aufruf dafür, Menschen zuzuhören und ihre Einzigartigkeit mit allen Fehlern, positiven sowie negativen Seiten und Großartigkeiten anzunehmen.

Die nächsten beiden Bände der Spinster Girls muss ich definitiv auch lesen!