Ein unterhaltsames Buch für junge Leser!

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Auf Instagram ist mir dieser Titel bereits des Öfteren begegnet, die Prämisse klang interessant und ein wenig nach Bridget Jones, kombiniert mit Georgia Nicholson plus einer gewaltigen Prise Feminismus — Holly Bourne trifft mit „Was ist schon normal?“ also den Zahn der Zeit und packt wichtige, aktuelle Themen in ihre neue Buchreihe: Die Spinster Girls! Drei Bände werden insgesamt erscheinen, der nächste erscheint bereits Ende August. Dieser Roman ist in der Tat etwas Besonderes. Während die Rahmenhandlung fast nach Klischee anmutet (Wie bekomme ich Jungs dazu, sich in mich zu verlieben? Wann finde ich Mr. Right?), ist „Was ist schon normal?“ doch so vieles mehr. Doch zurück zum Anfang. Wir nehmen aus Evies Sicht an ihrem Leben teil, aus irgendeinem Grund scheint sie Medikamente zu nehmen und ihre (ehemals) beste Freundin hat sich in einen Beziehungs-Zombie verwandelt. Wie gut, dass Evie Amber und Lottie kennenlernt, die eigene Ansichten zum Thema Jungs haben und Evie feministische Werte näher bringen wollen. Doch Evie möchte nur eins, nämlich normal sein, denn ihre Krankheit hielt sie lange Zeit davon ab, überhaupt ein normales Teenagerleben zu führen. Der Wunsch nach dem ersten Kuss, dem ersten Freund und der Schwärmerei für Jungs in einer Band clasht mit den femististischen Grundsätzen von Amber und Lottie, die Evie davon abhalten wollen, in ihr eigenes Verderben zu rennen…

»Wenn Jungs älter werden, nennt man sie ›Junggesellen‹ und findet das sexy. […] uns nennt man direkt ›Katzenlady‹ oder ›alte Jungfer‹. Ein männliches Pendant dazu gibt’s nicht. Genau wie es kein Wort für Kerle gibt, die mit jeder ins Bett gehen – während es tonnenweise dafür für Mädchen gibt. Die Sprache selbst ist sexistisch – sie zementiert doch nur diese total verallgemeinernden, völlig kranken Vorstellungen darüber, wie Jungs und Mädchen zu sein haben…«

Holly Bourne hat es geschafft, was ich in meiner Jugend (und auch jetzt noch!) bei vielen, vielen Büchern für Jugendliche (und leider auch für Erwachsene) vermisse: weibliche Protagonistinnen, die ihr Trachten nach männlicher Begleitung kritisch überdenken. Plus: Unser Hauptcharakter hat eine Zwangs- und Essstörung. Diese Kombination versprach, interessant zu werden! Wir erfahren mithilfe Evies Tagebuch (so in etwa), wie sie trotz ihrer großen Schwierigkeiten ihren Alltag meistert, was sie alles dafür gibt, endlich auch ein „normales“ Leben zu führen. Doch wie der Buchtitel schon so schön fragt: was ist schon normal? Evie stürzt sich seit es ihr besser geht und sie wieder das Haus verlassen kann ins Getümmel und macht sofort ausgerechnet das, was ihre Therapeutin als gefährlich empfindet: mit Jungs anbandeln. Und obwohl diverse Flirts mit Herzklopf-Faktor Evies Leben ins Chaos zu stürzen drohen und ihre Krankheit wieder ihr hässliches Haupt erhebt, versucht sie weiterhin, ein „normales Leben“ zu führen. Ihren neuen Freundinnen, mit denen sie den Spinster Girls Club gegründet hat, traut sie sich nicht, auch nur irgendwas zu sagen. Teenage angst at its finest. Amber und Lottie versuchen jedoch, Evie von ihrem gefährlichen Gefühlsdusel, in dem sie sich zu verlieren droht, abzubringen.

Obwohl Evies amouröse Eskapaden beinahe vorhersehbar sind und einiges nach Schema F verläuft, überzeugt alles, was nicht zur Rahmenhandlung gehört, viel mehr: Der Alltag mit der Zwangsstörung, die vielen Rituale, der Umgang mit unerwarteten Situation, all das war faszinierend für mich. Ich habe in der Vergangenheit bereits einige Bücher über OCD (Obsessive-compulsive disorder) gelesen und Evies Schicksal hat mich vielleicht am meisten berührt — obwohl sie natürlich auch fast zwanghaft daran festhält, dass sie jetzt sofort einen Freund braucht. Da waren die Charaktere von Amber und Lottie gute Gegenstücke, die zwar auch verrückt nach Jungs sind, aber eben die feministische Sichtweise mitbringen. Sie berichten Evie vom Bechdel-Test, von Stereotypen, blauer Flüssigkeit in Tamponwerbungen, gegenderter Sprache und Rollenbildern und bringen ihr Selbstbild doch ein wenig ins Schwanken. Jedoch nicht genug, um sich von einem bestimmten Typ fernzuhalten, der ihr überhaupt nicht gut tut.

"Mit ihnen hatte ich immer das Gefühl, etwas zu lernen. Sie hatten so entschiedene Meinungen, eine solch hohe Meinung davon, ein Mädchen zu sein, sodass es schwer war, sich davon nicht mitreißen zu lassen. […] Ich meine, wir sind schon cool, nicht? Und die Welt rollt dir Steine in den Weg, wenn du eine Muschi hast."

Auch wenn Holly Bourne sehr wichtige Themen, besonders für Teenager, anspricht und gekonnt in ihre Geschichte einbaut, hätte ich mir doch ein wenig mehr Awareness gewünscht. Dass Mädels in dem Alter vermutlich überwältigt von den antanzenden Hormonen sind, ist klar, dennoch hätte ich mir gewünscht, dass Evies Freundinnen mehr eingreifen und sich weniger mit sich selbst und mehr mit der später sehr offensichtlichen Krankheit Evies befassen würden. Die Diskussionen der Spinster Girls bezüglich dem Rollenbild der Frau und den in der heutigen Zeit immer noch sehr präsentativen Stereotypen finde ich gelungen, die Abschnitte über Evies Krankheit erscheinen jedoch wie aus einem Pamphlet für mehr Aufmerksamkeit für psychische Krankheiten zitiert. Was nicht schlecht ist, nur sticht es sehr aus dem sonstigen Stil des Buches heraus; der sonst so angenehm zu lesende Stil wirkt an diesen Stellen ungewohnt befremdlich.

Fazit: Dieses Buch ist eine Erfrischung. Sonst stumpfsinnig ihren Männern hinterherhechelnde Frauchen kommen endlich zu Wort, und wie! Besonders toll finde ich, dass dieses Buch an Mädchen ab 12 gerichtet ist. Die Jugend muss viel mehr mit Themen wie Feminismus konfrontiert werden und eine Bewusstseinsschärfung für die immer noch tabuisierten psychischen Krankheiten („Du siehst ja gar nicht krank aus!“) ist immer eine gute Sache. Dennoch finde ich, dass einige wichtige Konzepte nicht genügend erklärt wurden — besonders für eine Buchreihe finde ich das besonders wichtig, denn die darauffolgenden Bände sollen ja schließlich auf dem Wissen aus Band 1 aufbauen. Und wenn Dinge wie benevolenter Sexismus nur sehr verworren erklärt werden, ist das leider nur suboptimal. Die Message, die „Was ist schon normal?“ rüberbringt, finde ich allerdings sehr gelungen: Es ist okay, Jungs zu küssen und trotzdem gegen die Ungleichheit der Welt anzukämpfen!