Der Preis der Forschung

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riedenadine Avatar

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"Menschen sind Menschen und Tiere sind Tiere." Diese Unterscheidung verleitet Forschende bisweilen dazu, Lebewesen zu eigennützigen Zwecken und unter dem Deckmantel der Wissenschaft zu benutzen - wie auch in diesem Buch, in dem der Professor Guy Schemerhorn versucht zu beweisen, dass Schimpansen zum Spracherwerb fähig sind. Als Forschungsobjekt wurde ihm dabei Sam zur Verfügung gestellt, ein zweijähriger Schimpanse, der es aufgrund seiner Fähigkeit zur Anwendung der Gebärdensprache sogar bis in eine Fernsehshow geschafft hat. Über diese wird die Studentin Aimee auf das Projekt aufmerksam und entschließt sich kurzerhand, ihr bisheriges und allem Anschein nach relativ sinnfreies Leben gegen eine Zukunft an der Seite von Sam einzutauschen. So landet sie innerhalb kürzester Zeit auf der von Forschungsgeldern bezahlten Ranch, wo sie fortan mit Guy und Sam lebt und sich voll und ganz dem frechen Schimpansen widmet. Es ist Liebe auf den ersten Blick, doch wie das mit der Liebe so ist, treten auch hier ungeahnte Komplikationen auf - spätestens dann, als der Trubel um Sam und damit auch die Zeit der finanzierten Forschung vorbei ist. Sam soll zurück zu seinem rechtmäßigen Besitzer Dr. Moncrief, und letztlich für Versuchszwecke an ein biomedizinisches Labor verkauft werden - wäre da nicht Aimee, die genau dies mit allen Mitteln zu verhindern versucht.

Was T.C. Boyle in diesem Buch erzählt, lässt sich auf beklemmend ähnliche Art und Weise auch in alten Artikeln zu realen Forschungsprojekten nachlesen: Ab den 60-er Jahren waren einige Wissenschaftler*innen erpicht darauf, Schimpansen menschliche Sprache in Form von Gebärdensprache beizubringen und zu beweisen, dass diese auch bei den Tieren untereinander Verwendung findet - ein regelrechter Hype entstand. Der Hype verebbte mit dem Aufkommen gegnerischer Schriften, die titelten, die Tiere sprächen nicht, sondern reagierten lediglich auf Signale ihrer menschlichen Partner. Das bedeutete mitunter das Ende für derartige Projekte.

Was ich an T.C.Boyle schätze, ist seine Art, den richtigen Tonfall zu treffen. Insbesondere in einem Buch wie diesem, das aufgrund des niedlich-frechen Schimpansenjungen Sam schnell ins Kitschige hätte abdriften können, bewahrt er einen sachlichen und dennoch unterhaltsamen Erzählstil. Im einen Moment habe ich geschmunzelt über die Aktionen von Sam, im nächsten sah ich mich selbst konfrontiert mit den zentralen Fragen, die der Roman aufwirft und die sich bei mir unablässig im Kreis drehten: Haben Tiere nur dann das Recht auf ein gutes Leben, wenn sie beweisen, dass sie den Menschen ähnlich sind? Und wie können wir als Menschen überhaupt wissen, worin für Tiere ein gutes Leben besteht? Was müssen Tiere erdulden, um der Menschheit Erkenntnisse zu liefern? Wieso werden andere Spezies uns gefügig gemacht? Okay, ich höre auf an dieser Stelle, aber Fragen wie diese haben mich schon oft beschäftigt und wurden durch T.C.Boyles Roman neu entfacht.

Für mich persönlich ist dieses Buch ein Must-Read dieses Jahr, auch wenn es mitunter einige Längen hat, über die ich aber gut hinwegsehen kann. Viel zu wichtig erscheint mir die Thematik, auf die T.C.Boyle damit aufmerksam macht. Daneben hat er mit Sam und Aimee zwei außergewöhnliche Protagonisten geschaffen, die einem ans Herz wachsen und hoffen lassen, es möge am Ende alles gut werden. Solange es Menschen wie Dr. Moncrief gibt, bleibt diese Hoffnung leider ein Wunschtraum.