Britischer Humor gewürzt mit extremer Offenheit

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Hm… wie beschreibt man ein Buch, bei dem es sich nicht, wie man zunächst glaubt, um ein Art Tagebuch, sondern um Blogeinträge handelt? Schwierig!
Judith O´Reilly schreibt auf jeden Fall frisch von der Leber weg. Manchmal mit dem so typisch britischen (Galgen)Humor (den nicht jeder Europäer versteht!), dann wieder einfühlsam und sehr, sehr offen und später wieder beinhart, nimmt kein Blatt vor dem Mund und stößt damit sogar ihre Umwelt von sich. Ich mußte zwangsläufig mit ihrem Schreibstil und ihrer Art das Leben um sich zu beschreiben mitleiden, mitlachen oder einfach wie sie fassungslos den Kopf schütteln. Allerdings warne ich vor dem Titel, der einen Schluß zuläßt, der - ACHTUNG! SPOILER! - nicht das bringt, was man erwartet. Meine Vermutung lief auf zwei Dinge hinaus:
1.) Sie schmeißt ihren Mann aus dem Cottage
2.) Sie zieht (entweder alleine mit den Kindern oder mit der gesamten Familie) wieder nach London. Doch beide Richtungen waren falsch…

Ihre Einträge sind in meinen Augen, überhaupt seit ich wußte, dass sie öffentlich zu lesen waren, ziemlich gewagt. Sie nannte zwar nie Namen, aber dennoch konnte es gar nicht anders sein, als dass die Bewohner derselben Ortschaft und die den Blog lasen, entrüstet waren. Ganz besonders als es um das Thema Mobbing in der Schule ging, weil ihr 6jähriger panische Angst tagsüber und Alpträume nachts hatte. Die Reaktion der Einwohner konnte gar nicht anders ausfallen, auch wenn eine leidgeprüfte Mutter einfach nur ihre Seelenqualen veröffentlicht. Es schien mir manchmal, dass die Autorin es darauf angelegt hatte, sich mit den Einheimischen anzulegen. Sie erzählte sogar ganz offen ein vertrauliches Gespräch mit der ortsansässigen Pfarrerin, was mich dann doch sprachlos machte.
Das “politisch korrekte Denken” im Bezug auf Mobbing fand ich aber ebenso erschütternd wie Judith O´Reilly. Ich habe nichts gegen politische Korrektheit. Aber wenn dies dann ganz offensichtliche Täter zu harmlosen Unwissenden macht und Opfer nicht als solche angesehen werden, dann dreht es mir ebenso wie der Autorin den Magen um. Ja, tatsächlich! Bei einem von der Schule veranstalteten Workshop gab die Moderatorin genau solche Sachen zum Besten. Die Kinder, die andere mobbten, wären keine Täter, sondern handelten oft unwissend. Nach dieser Denkweise gäbe es überhaupt keine Täter und natürlich auch keine Opfer, denn die Gemobbten leiden zwar darunter, aber wo kein Täter, da auch kein Opfer. Na, das ist ja allerhand!
Aber immerhin hat die Schule gehandelt, was man von so vielen in Österreich nicht sagen kann. Da wird dann gerne das offensichtlich “politisch korrekte Denken” angewandt und übersieht dann solche Dinge oder verharmlost sie einfach.

Am meisten mußte ich schmunzeln bzw. lachen, wenn Judith O´Reilly von ihren Reitversuchen bzw. ihrem Eintauchen in die Pferdewelt schrieb. Da ich selbst Reiterin war (leider nicht mehr bin!) und ein eigenes Pferd besaß, konnte ich es ihr deutlich nachfühlen, wie es ihr damit ging.
Und am tragischten traf es mich, als sie von ihrem Erstgeborenen erzählte, der als Totgeburt zur Welt kam. Die gesamte Bandbreite eines Gefühlsspektrums ist in diesem Buch gefangen, gekürzt auf knapp zwei Menschenjahre. Und das ist es wohl, was den Leser fasziniert! Es wirkt direkt, nicht gekünstelt und reißt einen einfach mit - ob man will oder nicht.
Einziger Wermutstropfen bei der Sache: das ständige Gejammere der Schreiberin, dass sie von London weggezogen wäre, dass sie wieder nach Hause wolle und ihr London so fehlen würde, geht einen irgendwann auf den Keks!

Fazit: Ein nettes Büchlein für zwischendurch, welches fesselt und durchaus aus dem Leben gegriffen ist.