Entwurzelt

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buecherfan.wit Avatar

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In ihrem autobiografischen Blogroman beschreibt Judith O´Reilly, wie sie dem Wunsch ihres Mannes, von London nach Northumberland in das ehemalige Ferienhaus umzuziehen, nicht länger im Weg stehen wollte. Zu der Zeit hat sie zwei kleine Kinder und ist schwanger mit dem dritten. Sie hat enorme Schwierigkeiten sich einzugewöhnen, während ihr Ehemann fast immer abwesend ist und nach wie vor in London arbeitet. Sie hat ihre Freunde in London zurückgelassen und stellt fest, wie lang es dauert, bis neue Freundschaften wachsen und sie mit den neuen Freunden vertraut genug ist, um sie in schwierigen Situationen um Hilfe zu bitten. Und die gibt es reichlich. Da sind die üblichen Alltagsprobleme wie ein leerer Tank, ein geplatzter Reifen, verlegte Schlüssel, kranke Kinder, zu wenig Schlaf, Sorge um die alten Eltern, die zunehmend gebrechlich werden, ein Sohn, der zum Mobbing-Opfer wird , umfangreiche Renovierungsarbeiten an zwei Häusern, die zwei weitere Umzüge zur Folge haben, aber auch ihre eher pessimistische Grundhaltung und ihre depressiven Phasen, die es schon vor dem Umzug gab und die eine Therapie notwendig machten. So gerät der Roman zu einer nicht enden wollenden Klage über Judith O´Reillys hartes Schicksal, an einem Ort leben zu müssen, wo sie nicht sein will und das geliebte London zu entbehren, das sie nie hat verlassen wollen. Warum ihr Mann nun unbedingt im Norden auf dem Land leben und seine Frau dies unter gar keinen Umständen wollte, wird allerdings nie genau erklärt. Der Roman hat mit seinen 352 Seiten einige Längen - 100 Seiten weniger hätten es auch getan. Die meist sehr kurzen tagebuchartigen Einträge sind da auch nicht sehr hilfreich, denn sie verhindern, dass ein größerer Spannungsbogen aufgebaut wird. Es gibt einfach zu viel Wiederholung von immer gleichen Problemen und sich ähnelnden Vorfällen.

Positiv ist auf der inhaltlichen Seite die Darstellung der sich entwickelnden dörflichen Kontakte, aber auch das Bild einer trotz aller Schwierigkeiten intakten Familie, denn das ist offensichtlich: Judith O´Reilly liebt ihren Mann und ihre Kinder über alles. Anrührend ist auch das Verhältnis zu den alten Eltern, um die sie sich liebevoll kümmert und deren Versorgung sie auf Dauer sicherstellen will. Die Protagonistin wächst dem Leser vor allem dadurch ans Herz, dass gegen Ende des Romans enthüllt wird, was ihre Depressionen verursacht hat. Sehr erfrischend sind auch Episoden aus dem Landleben, wie Jagdausflüge oder die Schafschur, an denen O´Reilly teilnimmt. Das Ganze wird häufig witzig, ironisch oder bissig formuliert und ist sprachlich sehr ausgefeilt.

Fazit: Der Roman krankt an der Tatsache, dass auf der Handlungsebene kaum mehr passiert, als dass die Protagonistin vom geliebten London ins ungeliebte Northumberland zieht und damit fertig werden muss. Das ist zu wenig, um 352 Seiten interessant und spannend zu füllen.