Noch eine Dystopie, aber was für eine!

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“Starters” ist der Debütroman der Amerikanerin Lissa Price und gleichzeitig eine der ersten Neuerscheinungen des neuen Piper-Imprints IVI. Die Autorin arbeitet bereits am zweiten Band “Enders”, der im Dezember 2012 erscheinen und die Geschichte um Callie, Michael und Blake abschließen soll. Wer einen Kindle besitzt, kann (unter anderem bei Amazon) außerdem die Kurzgeschichte “Portrait of a Starter” erwerben, die aus Michaels Perspektive erzählt wird.  

Handlung:

 

Die 16-jährige Callie muss sich mit ihrem 7-jährigen Bruder Tyler allein in Los Angeles durchschlagen. Jeden Tag kämpfen die beiden zusammen mit ihrem Freund Michael um das nackte Überleben, denn Hunger und Angst regieren die Stadt und Marshals patroullieren nachts die Straßen auf der Suche nach obdachlosen Jugendlichen. Ihre Eltern haben Callie und Tyler, wie auch die meisten anderen Kinder und Jugendlichen, beim Ausbruch einer Sporeninfektion verloren, die alle Menschen zwischen 40 und 60 getötet hat. Nun gibt es also nur noch ganz junge (die Starters) und ganz alte Menschen (die Enders). Während die Starters beinahe rechtelos entweder unter der Obhut eines Enders leben oder auf der Straße bedingungslos gejagt werden, leben die Enders in Bequemlichkeit und Reichtum. Um sich und Tyler durchzubringen, muss Callie nun eine folgenreiche Entscheidung treffen: sie beschließt, einen Vertrag mit einer so genannten Body Bank abzuschließen, bei der ältere Menschen sich einen jüngeren Körper mieten können. Was für Callie zunächst wie schnell verdientes Geld aussieht, entpuppt sich jedoch bald als ein wahrer Alptraum…

 

Eigene Meinung:

 

Mit ihrem Debutroman schwimmt Lissa Price auf der beliebten Welle des dystopischen (Jugend-)Romans mit. Da ich selbst bisher nur wenige Dystopien gelesen habe, kann ich nur schlecht beurteilen, inwiefern der Autorin hier innerhalb des Genres etwas Neues gelingt. Mir persönlich hat die Idee einer Gesellschaft, in der nur junge und alte Menschen leben, aber sehr gut gefallen und ich hatte noch nichts vergleichbares gelesen. Das Cover der deutschen Ausgabe passt, meiner Meinung nach, ausgezeichnet zum Inhalt – mit seinen düsteren Farben und dem schemenhaften, anonym wirkenden, weiblichen Gesicht, das genau das ausdrückt, was den Mädchen und Jungen in der Body Bank passiert: sie werden ihrer Identität beraubt. Die Handlung wird nun aus der Perspektive eines dieser Opfer, Callie, in der Ich- und Vergangenheitsform erzählt.

 

Callie ist ein sehr charismatischer Charakter, mit dem ich sofort Sympathie empfand. Selbst noch ein Teenager trägt sie die Verantwortung für ihren kleinen Bruder Tyler, dem sie ein sicheres Leben bieten will. Ihre eigene Trauer um die geliebten Eltern muss Callie zurückstellen, um stattdessen das tägliche Überleben zu sichern. Mit Michael zusammen bilden die drei schon fast eine kleine Familie und wenn beschrieben wird, wie Callie, Michael und Tyler zusammen in den heruntergekommenen, verlassenen Häusern der Gegend leben, dann ist das schockierend und rührend zu gleich. Als Tylers Gesundheitszustand sich nach und nach verschlimmert, ist seine große Schwester gezwungen, eine Entscheidung zu treffen und ihn gleichzeitig allein mit Michael zurückzulassen.

 

Die Idee der Body Bank war für mich faszinierend und abstoßend zugleich. Ich habe mich gefragt, was für Menschen sich wohl den Körper eines anderen mieten und wie sie das vor sich selbst rechtfertigen können. Dennoch war ich enorm gespannt, was Callie wohl erleben würde. Und dann geschah auch schon das Unausweichliche: Callie bleibt im Körper ihren dritten und eigentlich letzten Kundin Helena oft für Stunden und Tage gefangen und muss so erfahren, dass die einen Mord begehen will – sozusagen mit Callies Körper als Mordwaffe. Nach einer Weile können die beiden Frauen sogar miteinander kommunizieren und Helena erzählt Callie schreckliche Dinge über die Body Bank und deren Besitzer, so dass diese bald nicht mehr weiß, wem sie vertrauen kann und auf welche Seite sie sich stellen soll.

 

Natürlich kommt auch die Liebe in dem Roman nicht zu kurz, denn in dem reichen Jungen Blake findet Callie einen tröstenden Anker, wenn sie Tyler und Michael vermisst und sich in Helenas Welt so einsam und verloren fühlt.  Und in den Wochen und Monaten, die Callie in dem fremden Körper verbringen muss, hat auch Michael in der obdachlosen Florina eine neue Verbündete gefunden. Und so schwankt unsere Protagonistin zwischen der Liebe zu Blake und der tiefen Dankbarkeit und Freundschaft zu Michael, zwischen Freude über das eigene zarte Glück mit Blake und Eifersucht, weil sie nicht länger ein Teil von Michaels Leben sein kann. Dabei rutscht der Roman aber nie ins Kitschige oder Schnulzige ab – die Liebesgeschichte ergänzt die Handlung, stört oder unterbricht sie jedoch nicht.

 

Die grobe Rahmenhandlung ist mit dem ersten Band abgeschlossen, aber dennoch wird eine Vielzahl von Fragen aufgeworfen, die in “Enders” noch beantwortet werden müssen. Der Schluss an sich hat mich zwiegespalten zurückgelassen, weil er Happy End und Schlag in die Magengrube zugleich ist. Man weiß nicht, ob man sich freuen soll, weil ein Teil der Handlung gut ausgegangen ist oder weinen soll, weil sich im Laufe der Handlung ein paar wirklich furchtbare Dinge ereignet haben. “Starters” ist auf jeden Fall ein Buch, das zum Nachdenken anregt und die eine oder andere moralische Frage im Raum stehen lässt. Ich für meinen Teil bin begeistert und freue mich schon sehr auf Band 2.

 

Fazit: Ein starker Debütroman, der aus einer beklemmenden Welt erzählt und zum Nachdenken anregt.