Demenz, Krieg, Flucht, Schicksal der "Brown Babys" - tolle Themenvielfalt!

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lia48 Avatar

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INHALT:

Köln, 2015: Jeden Abend schaut die 84-jährige Greta ihrem Sohn bei den Nachrichten zu, redet dabei auf ihn ein und wünscht ihm eine gute Nacht. Seit vor 18 Jahren ihr Mann Konrad gestorben ist, hat sie nur noch Tom und ihre Nachbarin Helga.
Als sie eines Abends verwirrt in Pantoffeln und Hauskleid auf der Autobahn aufgefunden wird, landet sie mit dem Verdacht auf Demenz in der Klinik.
Ihr viel beschäftigter Sohn kann es kaum glauben. Und in Greta erwachen nach und nach die Erinnerungen, die sie all die Jahre versucht hat zu vergessen.
Zum ersten Mal erfährt Tom von der Vergangenheit seiner Mutter. Von ihrer Kindheit in Ostpreußen während des Naziregimes, von der Flucht 1945 vor russischen Soldaten und von der beschwerlichen Nachkriegszeit in Heidelberg. Doch was hat es mit der Fotografie eines Schwarzen Mädchens auf sich, welche Tom findet? Je mehr Nachforschungen Gretas Sohn betreibt, desto mehr Geheimnisse kommen schließlich ans Tageslicht


MEINUNG:

Greta muss man einfach gerne haben! Was für eine goldige, alte Dame! Auch wenn sie sich mittlerweile viele Klebezettel schreiben muss, um wichtige Dinge nicht zu vergessen, ist sie wohl eine der wenigen Personen, die ihre Mitgliedsnummer der Krankenversicherung auswendig weiß. Und humorvoll ist sie ohnehin. Aber Humor benötigt sie nach ihren vergangenen Erlebnissen auch dringend...

Das Buch thematisiert in der Gegenwart neben Gretas Lebenssituation auch Toms Arbeit als Nachrichtensprecher und wie er mit der Flüchtlingskrise von 2015 in Berührung kommt.
Tom war mir ehrlich gesagt nicht immer sympathisch (was ja auch nicht sein muss, außer man stört sich daran). Ständig hat oder hätte er gerne etwas man irgendwelchen Frauen. Und häufig beurteilt er Frauen nach ihrem Äußeren. Dementsprechend abwertend empfand ich auch manchmal die Wortwahl (bzw. die Sprache in seinen Gedanken), welche zwar zur Figur von Tom passte, mich aber immer wieder genervt mit den Augen rollen ließ. Da habe ich schon gedacht, dass mir sein Charakter nun hoffentlich nicht das ganze Buch vermiesen wird. Doch Tom macht auch positive Entwicklungen durch, kümmert sich rührend um seine Mutter mit Demenz und interessiert sich für die Geschichten der Flüchtlinge, was ihn weniger oberflächlich und arrogant wirken ließ. Trotzdem fand ich manche Stellen mit ihm überzogen, was aber mein einziger Kritikpunkt am Buch bleiben wird.

Es wäre schade gewesen, wenn ich das Buch deshalb abgebrochen hätte. Denn es gibt da noch den Erzählstrang von Gretas Vergangenheit, der großen Platz einnimmt und der mich unglaublich begeistern konnte.
Er ist ziemlich historisch ausgerichtet, was ich gerne mag. So empfand ich es als sehr eindrücklich, wie Greta bereits in jungen Jahren in Ostpreußen den Nationalsozialisten nacheiferte. Naiv, wie Kinder nun einmal sind, freute sie sich mit dem Rektor über den Kriegsbeginn. Doch dass der Vater in den Krieg ziehen und von ihm irgendwann jede Spur fehlen würde, hatte Greta nicht erwartet. Und auch durch die Flucht vor den Russen und aufgrund der beschwerlichen Nachkriegszeit, macht man an der Seite von Greta so einiges mit.
Dann nimmt die Geschichte eine Wendung, und es wird näher auf Themen wie Rassismus und das Schicksal der „Brown Babys“ eingegangen (Letzteres bezeichnet Kinder von einer deutschen Mutter und einem afroamerikanischen Besatzungssoldaten als Vater. Die Kinder wurden nach dem Zweiten Weltkrieg häufig zur Adoption freigegeben und von BPoC in den USA adoptiert.).
Hierbei wurde oft das „N-Wort“ verwendet, allerdings in einem historisch eingebetteten Setting. Trotzdem ist es immer wieder erschreckend, wie schlimm manche Menschen abgewertet und diskriminiert wurden und zum Teil immer noch werden! Mehr über das Schicksal dieser Menschen zur damaligen Zeit zu erfahren, empfand ich jedenfalls als sehr bereichernd.

Insgesamt wurde die Geschichte noch sehr emotional. Vielleicht könnte sie manchem gegen Ende zu viel Friede Freude, Eierkuchen beinhalten. Mir hat das an dieser Stelle nichts ausgemacht, da Greta zuvor so viel Schreckliches erleben musste.

FAZIT: Auch wenn ich mit einer Figur nicht durchgehend warm geworden bin, so konnte mich Gretas Geschichte und die ihrer Familie unglaublich berühren und begeistern. Bereichernd fand ich es, mehr über den Rassismus und das Schicksal der „Brown Babys“ nach dem Zweiten Weltkrieg zu erfahren. Wer gerne historische Romane liest und Familiengeheimnisse mag, der sollte sich das Buch nicht entgehen lassen! 4,5/5 Sterne!

ANMERKUNG ZUM TITEL: „Stay away from Gretchen“, verlangte die Army von ihren Soldaten – sie sollten sich fern von deutschen Frauen halten, da diese sie angeblich mit Syphilis anstecken könnten.